Mit 60 zu alt für einen neuen Job?
Eine 60-Jährige berichtet, was die Arbeitssuche für Ältere so schwer macht. Die Chancen sind je nach Branche sehr unterschiedlich.
Wuppertal. Karin Ehrenstein hat einen Lebenslauf, wie man ihn sich wünscht. Nach ihrer Lehre zur Industriekauffrau bei Vorwerk in Wuppertal wurde sie sofort übernommen.
Später wechselte sie zu einem Textilunternehmen und stieg dort in 25-jähriger Laufbahn zur rechten Hand der Geschäftsleitung auf. Sie bildete sich fort, lernte Business-Englisch und Französisch und pflegte Geschäftskontakte in aller Welt.
Als das Unternehmen 2003 in Schieflage geriet, fand die Wuppertalerin schnell einen neuen Job. Doch auch diese Firma geriet in Schwierigkeiten, wanderte schließlich ins Ausland ab. Seit Mai 2010 ist Karin Ehrenstein arbeitslos und trotz einer tadellosen Vita schwer vermittelbar: Mit 60 Jahren ist sie vielen Arbeitgebern schlichtweg zu alt.
„Man hört immer, dass man ab 50 Jahren keine Chancen mehr hat. Aber so schwer habe ich es mir nicht vorgestellt. Ich habe immer gedacht, dass es mit meiner Qualifikation doch was geben muss“, sagt die Wuppertalerin, die inzwischen eine Liste mit knapp 50 erfolglosen Bewerbungsversuchen vorweisen kann.
Gerade einmal drei Vorstellungsgespräche hatte sie in neun Monaten. „Ich habe mich auch bei mehreren Personaldienstleistern vorgestellt. Unter der Hand wurde immer gesagt, dass mein Alter ein Problem ist“, sagt sie.
Werner Schneider ist Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Wuppertal. Er bestätigt zwar grundsätzlich, dass die Jobsuche für Ältere deutlich schwerer ist. Er sieht aber Unterschiede in den Chancen.
„Wer nur in einem speziellen Teilbereich gearbeitet hat oder nie Kontakt zu Computern hatte, hat es besonders schwer“, sagt er. Grundsätzlich aber sei die Branche ausschlaggebend. „Im kaufmännischen Bereich gibt es aktuell ein Überangebot“, erklärt er. In gewerblich-technischen Berufen und im Ingenieursbereich hätten ältere Arbeitslose dagegen gute Aussichten, wieder zurück in den Job zu finden.
Besonders schwierig sei es in medizinischen Berufen. Altenpfleger oder Krankenschwestern, die den körperlichen Anforderungen des Jobs nicht mehr gerecht werden können, hätten kaum eine Chance. „Obwohl in der Branche Bedarf an Kräften besteht.“
Karin Ehrenstein erhält alle drei Monate eine Einladung ihrer Jobvermittlerin zu einem persönlichen Gespräch. Auch ein Bewerbungstraining der Arbeitsagentur hat sie bereits absolviert. Dennoch hat die zupackend und verbindlich auftretende Frau das Gefühl, dass es einfach nicht voran geht.
Vor allem aber quält sie die Angst, im Mai zum Hartz-IV-Bezieher zu werden. „Ich weiß nicht, ob ich dann noch unsere Wohnung halten könnte, in der mein Mann und ich seit 30 Jahren wohnen.“
Alexander Böhme, Experte für Personalpolitik bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, ist überzeugt, dass ältere Arbeitskräfte heute wieder mehr geschätzt werden. „Die Tendenz, Jung gegen Alt auszutauschen, ist einer Wertschätzung des Erfahrungswissens gewichen“, sagt er. 2010 lag die Beschäftigungsquote bei den 55- bis 64-Jährigen bei 57 Prozent.