Atomwaffen Nordkorea setzt Tests mit atomwaffenfähigen Raketen fort

Seoul/Tokyo · Nordkorea will seine Atomstreitmacht ausbauen. Dafür testet das Land auch immer wieder atomwaffenfähige Raketen. Der neue Test solcher Waffen stiftet in den Nachbarländern zunächst Verwirrung.

Laut Südkorea und Japan sollen in Nordkorea mehrere Raketen, unter anderem eine atomwaffenfähige Rakete, getestet worden sein.

Foto: dpa/Ahn Young-Joon

Bei neuen Raketentests hat Nordkorea nach Angaben Südkoreas und Japans auch eine mutmaßlich atomwaffenfähige Rakete mit Tausenden Kilometern Reichweite abgefeuert. Nordkorea habe am Donnerstag auf den Tag verteilt sechs ballistische Raketen in Richtung offenes Meer abgeschossen, von denen die erste offenbar eine Interkontinentalrakete (ICBM) gewesen sei, teilte der Generalstab der südkoreanischen Streitkräfte mit. Am Freitag soll sich auch der UN-Sicherheitsrat mit dem Thema befassen.

Er bestätigte zunächst nicht Berichte südkoreanischer Medien, wonach es nach der Startphase zu Problemen bei der mutmaßlichen ICBM kam und der Test letztlich fehlschlug. Die Regierung in Tokio bestätigte nach anfänglicher Verwirrung wegen der Flugroute, dass die Rakete über dem Japanischen Meer vom Radar verschwand.

Unklarheit gab es in Südkorea zunächst auch bei der Bestimmung des Raketentyps. Nach erster Einschätzung des Büros für nationale Sicherheit des Präsidialamts könnte es sich auch um eine sogenannte Mittelstreckenrakete größerer Reichweite (IRMB) handeln, berichtete der Sender KBS. Laut dem Militär flog die Rakete nach dem Start am Morgen in der Region um Pjöngjang in einer Höhe von bis zu 1920 Kilometern etwa 760 Kilometer weit.

Beide Typen sind Trägermittel für atomare Gefechtsköpfe, deren Erprobung der selbsterklärten Atommacht Nordkorea durch UN-Resolutionen untersagt ist. Zu ICBM zählen dabei Raketen mit einer Reichweite von mindestens 5500 Kilometern.

Durch den jüngsten Test verschärft sich die Eskalationsspirale auf der koreanischen Halbinsel. Während Nordkorea unablässig Raketentests ausführt, nahmen Südkorea und die USA in diesem Jahr ihre gemeinsamen Militärmanöver wieder in vollem Umfang auf. Seit Beginn des Jahres gab es bereits mehr als 50 nordkoreanische Raketentests - allein am Mittwoch erfasste Südkoreas Militär mehr als 20 Raketentests durch den Nachbarn. Als Folge unternahm Südkorea eigene Waffentests.

Diesmal reagierten die verbündeten Streitkräfte Südkoreas und der USA mit der Ankündigung, ihre laufenden Luftwaffenübungen „Vigilant Storm“ zu verlängern, die eigentlich am Freitag enden sollten. Details würden später genannt, teilte Südkoreas Militär mit. Die Entscheidung sei „in Verbindung mit den jüngsten Provokationen durch Nordkorea“ getroffen worden. Eine Reihe von Ländern, unter anderem die USA, Frankreich und Großbritannien, beantragten am Donnerstag zudem eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Das Treffen soll am Freitag stattfinden.

Die USA warfen Nordkorea nach dem Test am Donnerstag eine „klare Verletzung mehrere Resolutionen des US-Sicherheitsrats“ vor. Japans Ministerpräsident Fumio Kishida kritisierte Nordkoreas Raketentests „als barbarisches Verhalten und total inakzeptabel“.

Außer der mutmaßlichen ICBM feuerte Nordkorea den Angaben zufolge am Morgen auch zwei Kurzstreckenraketen in Richtung Japanisches Meer (koreanisch: Ostmeer) ab. Das Militär ging nach Berichten südkoreanischer Sender davon aus, dass diesmal die größte nordkoreanische ICBM vom Typ Hwasong-17 getestet werden sollte, die auch US-Festland erreichen könnte.

In Japan, wo sich vor seiner Weiterreise am Abend nach Südkorea noch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aufhielt, sorgte der Raketentest für Verwirrung. Die Regierung hatte zuvor anfängliche Angaben korrigiert, wonach die erste Rakete über Japan hinweggeflogen sei. Die Bewohner in einigen nordöstlichen und zentraljapanischen Präfekturen waren zuvor aufgerufen worden, zur Sicherheit in ihren Häusern zu bleiben. Verteidigungsminister Yasukazu Hamada erklärte, warum sie vom Radar verschwunden sei, werde noch untersucht.

Am späten Abend (Ortszeit) wurde laut dem südkoreanischen Militär der Abschuss von drei weiteren nordkoreanischen Kurzstreckenraketen erfasst. Nordkorea hatte zuvor die Ankündigung Südkoreas über die Luftwaffenmanöver als „sehr gefährliche und falsche Wahl“ kritisiert.

Nordkorea treibt seit Jahren die Entwicklung von atomwaffenfähigen Raketen voran. Die Entwicklung strategischer Raketen mit großen Reichweiten richtet sich dabei besonders gegen die USA, denen Pjöngjang eine feindselige Politik vorwirft. Die jüngsten Raketentests wurden in Seoul auch als Reaktion auf die Luftwaffenübungen in Südkorea gesehen.

Das Ziel Pjöngjangs ist es, durch die Zusammenführung von Nuklear- und Raketentechnik eine vollwertige Atommacht zu sein und von den USA als solche anerkannt zu werden. Die USA und Japan kamen schon 2017 zu der Erkenntnis, dass Nordkorea in der Lage ist, seine Raketen mit Miniatur-Atomsprengköpfen zu bestücken. Damals hatte Nordkorea auch seinen bisher letzten und größten von sechs Atomwaffentests unternommen.

Kein Zweifel besteht in Washington und Seoul, dass Nordkorea kurz davor ist, einen neuen Atomtest zu unternehmen. In Südkorea wird nicht ausgeschlossen, der Test könne noch vor oder kurz nach den Zwischenwahlen in den USA in der nächsten Woche erfolgen. Die Menschen in der Region befürchten deshalb, die Lage könnte sich so zuspitzen wie vor fünf Jahren, als sie Angst vor einem neuen bewaffneten Konflikt auf der koreanischen Halbinsel spürten.

Wie gefährlich die Lage ist, zeigten die Raketentests am Mittwoch. Eine nordkoreanische Kurzstreckenrakete überquerte dabei nach Angaben Südkoreas zum ersten Mal seit dem Korea-Krieg (1950-53) die östliche Seegrenzlinie zwischen beiden Ländern, bevor sie in der Nähe des südkoreanischen Territorialgewässers einschlug.

Präsident Yoon Suk Yeol warf Nordkorea vor, damit praktisch südkoreanisches Territorium verletzt zu haben. Südkoreas Militär schoss als Reaktion drei Luft-Boden-Raketen aus Kampfjets ins offene Meer nördlich der Grenzlinie. Die Südkoreaner sorgen sich, Ereignisse wie diese könnten schnell in einer größeren Konfrontation münden.

(dpa)