Omikron-Welle Konzept der Corona-Warn-App auf dem Prüfstand

Die Corona-Warn-App des Bundes registriert nicht nur risikoreiche Begegnungen, sondern dient oft als digitaler Impfnachweis und Kontakt-Tagebuch. Aber gefährdet nun die Omikron-Welle die Kernfunktion der App?

Wie viel kann die Corona-Warn-App?

Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Mit über 40 Millionen Downloads gehört die offizielle Corona-Warn-App des Bundes zu den weltweit erfolgreichsten digitalen Werkzeugen, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Knapp 1,3 Millionen Infizierte in Deutschland haben über die App vor risikoreichen Begegnungen gewarnt. Etwa mit rechtzeitigem Testen für Betroffene wird darauf abgezielt, eine weitere Virus-Ausbreitung zu unterbinden.

Doch trotz dieser Erfolgsgeschichte reißt die Kritik am Konzept und an der konkreten Umsetzung nicht ab. Im Sommer 2020 zur Einführung ging es noch um die Frage, warum die App so spät kommt und warum die Konzerne SAP und Deutsche Telekom Millionen dafür kassieren dürfen. Entwicklung, Weiterentwicklung und Betrieb durch die beiden Unternehmen 2020 und 2021 kosteten insgesamt 116,3 Millionen Euro, wie die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion antwortete. Inzwischen geht es aber vor allem um die Frage, ob die App ihren eigentlichen Zweck erfüllen kann, nämlich einen nennenswerten Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten.

Bereits vor gut einem Jahr rührten sich Zweifel an der Warnfunktion. Die Macher hatten im Dezember 2020 den Algorithmus der Kontaktberechnungen verändert, um präziser zu ermitteln, welche Begegnungen gezählt werden sollen. Als Folge der Änderung verschwand die Anzeige von vielen Begegnungen mit niedrigem Risiko, weil diese für die Eindämmung der Infektionsketten keine Rolle spielten. Etliche Anwender zogen daraus aber den Schluss, dass die App ihre Wächterfunktion eingestellt hat, und deinstallierten die scheinbar nutzlose Anwendung wieder.

Die aktuelle Omikron-Welle löst nun den gegenteiligen Effekt aus. Viele Anwenderinnen und Anwender bekommen nun ständig die rote Kachel mit dem Warnhinweis „Erhöhtes Risiko“ angezeigt, weil sich Tag für Tag Zehntausende neu infizieren und das positive Testergebnis in die App eintragen. Auf dem Twitterkanal der App wurden Nutzer kürzlich bereits aufgerufen, die Risikoermittlung im Testzentrum kurz auszuschalten: Das verhindere unnötige Warnungen an dem Tag, hieß es.

Folgt man den Empfehlungen der Bundesregierung, müssten Nutzer mit einer roten Warnmeldung sich beim Hausarzt beziehungsweise dem örtlichen Gesundheitsamt melden. „Diese entscheiden anhand möglicher Krankheitssymptome, wie verfahren wird.“ Bei einer Warnung über ein erhöhtes Risiko bestehe Anspruch auf einen kostenlosen Test (PCR-Test oder Antigentest). Das gelte auch für vollständig Geimpfte.

Aber auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ahnt, wie schwierig es derzeit sein wird, diese offizielle Empfehlung komplett umzusetzen, weil zumindest die Gesundheitsämter und PCR-Testzentren hoffnungslos überlastet sind. Der studierte Mediziner gibt sich immerhin mit einfacheren Maßnahmen zufrieden: „Wenn hier ein Test veranlasst wird, ein Antigentest, oder man macht ihn zumindest selbst, dann kann man damit das Pandemiegeschehen wesentlich entschleunigen“, sagte er am Dienstag. „Gerade wenn es sehr viele Warnungen gibt, die dann zu Testungen führen, dann ist das ein ganz wichtiger Baustein zur Entschleunigung der galoppierenden Pandemie.“

Der Minister stellt deshalb auch die App nicht infrage: „Die Corona-Warn-App tut jetzt ihren Dienst“, sagte er. Dies gelte auch, wenn sie wegen Omikron oft anschlage.

„Die App funktioniert und wirkt - vor allem in dieser Phase der Pandemie. Das sehen wir auch an den Download-Zahlen, die kontinuierlich steigen“, teilte ein Sprecher der Corona-Warn-App auf Anfrage mit. Die App leiste einen wichtigen Beitrag beim Unterbrechen von Infektionsketten, ohne Gesundheitsämter zu belasten.

Lobende Worte kommen auch vom Amtsarzt des Berliner Bezirks Neukölln, Nicolai Savaskan, wo die Sieben-Tage-Inzidenz derzeit mit über 1500 bundesweit am höchsten ist. „Im Vergleich zum Beginn der Pandemie gehen die Leute viel kompetenter mit den Warnungen um“, findet er. Man erlebe trotz der hohen Anwenderquote keinen Ansturm wegen der App-Warnungen. Geht es um das Veranlassen eines Tests, seien die Umstände des Risikokontakts ausschlaggebend.

Das Testen nach App-Warnung ist für Savaskan jedoch eher ein Randaspekt: Einfacheres Nachverfolgen von Kontakten, Chancen für die Gesundheitskommunikation auch nach der Pandemie - in diese Richtung denkt der Amtsarzt. Für Bürger sieht er in der Pandemie auch einen Nutzen auf psychologischer Ebene: Sie könnten selbst etwas bewirken.

Es sei vor allem das „Rätselraten“ nach einer Warnung, das die App kompliziert mache, findet die Infektiologin Jana Schroeder von der Stiftung Mathias-Spital in Rheine: Wann genau mag ein Risikokontakt wohl stattgefunden haben? Trug man währenddessen eine Maske? Könnte die Warnung womöglich auch vom Nachbarn hinter der Zimmerwand kommen? Wenn die Warnungen zwar inhaltlich störanfällig seien - etwa weil die getragene Maske nicht berücksichtigt wird - dann nützten sie auch weniger, meint Schroeder. Grundsätzlich funktionierten auch andere Konzepte gegen Corona nur gut bei niedriger Inzidenz, etwa das Pool-Testen an Schulen.

Nach einer kürzlich aufgeploppten Warnung hat Schroeder für sich den Schluss gezogen, in öffentlichen Situationen immer eine dicht sitzende FFP2-Maske zu tragen, wie sie berichtet. Künftige Warnungen seien dann noch für sie von Interesse, „aber es hat ansonsten keine Auswirkungen“, weil sie sich mit der Maske gut geschützt sieht.

Diese Entscheidung zeigt auch: Gerade das Rätselraten könnte dazu führen, dass das eigene Schutzverhalten eher überdacht wird. Auch das gefühlte Risiko verändert sich womöglich. Vom Sprecher der App hieß es, dass Auswertungen von 2021 nahelegten, dass eine Begegnung mit einem nachweislich Infizierten zu einer Verhaltensänderung führe.

Der Frankfurter Epidemiologe Timo Ulrichs findet die App momentan noch sinnvoll. Aber: „Wenn wir mehr und mehr in die Hochphase der Omikron-Welle gehen, stößt diese App an Grenzen“, so der Forscher im Hessischen Rundfunk. Die Ausbreitung werde dann so dicht sein, dass wenige Möglichkeiten blieben, Übertragungswege zu unterbrechen.

Der Warn-App kommt mittlerweile zugute, dass sie nicht allein wegen ihrer Kernfunktion - dem Ermitteln risikoreicher Begegnungen - einen festen Platz auf unzähligen Smartphones hat. Sie hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren zu einem digitalen Schweizer Taschenmesser der Pandemiebekämpfung entwickelt. Populär ist vor allem die Funktion, die Impfzertifikate, Genesenennachweise oder Testergebnisse speichern und bei Bedarf schnell vorzeigen zu können. Sie übernimmt damit auch die Funktion der CovPass-App, die aber keine Kontaktregistrierung umfasst.

Die jüngsten Versionen beider Apps können jetzt auch helfen, gültige Impf- oder Genesenenzertifikate sowie einen digitalen Testnachweis in einem Rutsch anzuzeigen. Das soll es erleichtern, einen 2G-plus-Nachweis zu erbringen. Bei der Boosterimpfung hat die neue Funktion allerdings noch ein Problem. Die Programmierer der CWA und CovPass-App arbeiten daran, es aus dem Weg zu räumen.

(dpa)