Politischer Aschermittwoch der SPD: Die „Bätschlorette“ und der „Schwur von Schwerte“

Andrea Nahles, Noch-nicht-Vorsitzende der SPD, wirbt beim politischen Aschermittwoch der NRW-SPD im westlichen Westfalen für die Noch-nicht-Koalition.

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Schwerte. Die Sonne zeigt schon Richtung Untergang, als Andrea Nahles, die nominierte, aber nicht ernannte, die mögliche, aber erst in 67 Tagen wählbare, und dann vielleicht künftige Parteichefin eintrifft. Das Thermometer steht auf fünf Grad, aber gefühlt ist es minus Zwei. Andrea Nahles, von der „taz“ als „Bundesnachlassverwalterin der SPD“ und „Bätschlorette“ verhöhnt, spricht in der Kälte ein paar kurze Statements in Mikrofone, damit es irgendein Halbsatz aus der Veranstaltung wenigstens in die Nachrichten schafft. Drinnen herrscht eine so merkwürdige Stimmung, als sei der Valentinstag auf einen Aschermittwoch gefallen. Was er in vielerlei Hinsicht ist; nicht nur kalendarisch.

Die NRW-SPD tut Andrea Nahles keinen Gefallen damit, ihren politischen Aschermittwoch wie gewohnt im „Freischütz“ abzuhalten, einem Ausflugslokal in Schwerte, für Menschen, die Ausflüge nach Schwerte machen. Das 0,3-Liter-Glas Pils kostet hier 2,90 Euro, das Schweineschnitzel „Wiener Art“ 13,50 Euro, vor allem liegt der „Freischütz“ sehr günstig an der A1. Denn an gleicher Stelle jubelte die nordrhein-westfälische SPD vor ziemlich genau einem Jahr Martin Schulz als neuem Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidat zu. 700 Genossen sangen mit der damaligen Landesvorsitzenden Hannelore Kraft im Chor „Glückauf, Glückauf, der Martin kommt“, dreieinhalb mal soviel Karten hätte die SPD verkaufen können.

Ein Jahr später und 16 Tage vor dem Ende des Mitgliederentscheids hat sich das Medien-Interesse halbiert, keine 100 Journalisten haben sich durch den Stau nach Schwerte gequält. Gleich geblieben ist der Kartenpreis von sechs Euro, und auch der Noch-Vorsitzende der Landtagsfraktion, Norbert Römer, bekommt hier noch freundlichen Applaus; er ist der Vorsitzende der Region Westliches Westfalen und neuerdings Groko-Anhänger: „Ich bin dafür, noch einmal eine Koalition mit der CDU zu bilden.“ Andrea Nahles könne sich auf die westfälischen Genossen verlassen, verspricht Römer.

Der NRW-Vorsitzende Mike Groschek, der beim bereits 26. Politischen Aschermittwoch zum ersten Mal in den „Freischütz“ gekommen ist, fordert den Saal zum Schwur von Schwerte auf: „In den nächsten 30 Jahren werden wir uns nie wieder gestatten, zwischen ,Hosianna’ und ,Kreuzigt ihn’ zu lavieren!“ Andrea Nahles, kalauert Groschek, sei eine Säulenheilige des Natur- und Tierschutzes geworden: „Sie hat Frau Merkel und Seehofer in der Nacht der langen Messer zu Quietscheentchen gemacht.“ Da jubelt der Saal; ein bisschen zumindest. Groschek will die SPD auf die Siegerstraße zurückführen und 2019 bei den Europawahlen „nicht das sozialdemokratische Schneewittchen mit den sieben Zwergen von Europa“ werden. Groschek verprügelt verbal Oban und Erdogan, fordert „Free Deniz“ auf jeden Türkei-Reiseprospekt zu drucken und dem letzten Ortsverein klarzumachen, dass die SPD „kein Streichelzoo für Platzhirsche“ ist.

Und bei der nächsten Bundestagswahl wolle man 30 Prozent. Und irgendwie kriegt Groschek die Kurve zu der Erklärung, warum man dafür die Koalition brauche, um nämlich aus dem Maschinenraum auf die Brücke zu stürmen. Und dann macht Andrea Nahles vor, wie das aussehen könnte. Sie schreit sich an den Rand des Stimmverlusts, dankt Martin Schulz und droht Angela Merkel. Dann geht es in die Details des Koalitionsvertrags, für den sie wirbt. Rente. Bildung. Pflege. Allein deshalb, sagt sie, hätte sie zugestimmt.

Dann sind die politischen Gegner dran. In einem Punkt habe Christian Lindner recht: Es sei wirklich besser, dass er nicht regiert. Es sei schön, dass alle Bienen und Blumen wüssten, dass die Grünen für sie da sind. Statt ideologische Pläne zu verfolgen, sei sie vorerst lieber für die 7000 Braunkohle-Kumpel da. Und natürlich freut sich Nahles, dass NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) beim Dortmunder Geierabend zum „Pannekopp des Jahres“ gewählt wurde. Irgendwann ist die Stimme weg. Andrea Nahles schreit ohne Stimme weiter. „Prost, und alles Gute. Tschüss.“ Der Applaus ist freundlich. Wäre er eine Abstimmung, dann ginge sie knapp aus.

Natürlich blendet die Noch-nicht-Vorsitzende der SPD die Personaldebatten aus, die die SPD nicht beenden kann, und die Andrea Nahles letztlich mitverantwortet. Mit Nahles auf der Bühne steht während der ganzen Zeit ein weißer Elefant aus Goslar, der bei Twitter am Nachmittag schon angedeutet hat, wie er sich selbst als Außenminister unter Kündigungsschutz zu stellen gedenkt: „In den letzten Tagen & Wochen habe ich über Fall Deniz #Yücel intensive Gespräche mit meinem türkischen Amtskollegen geführt. Habe darum gebeten, dass türkische Justiz das Gerichtsverfahren beschleunigt. Hoffe auf baldige positive Entscheidung des unabhängigen türkischen Gerichts.“ Bis ihrem schlimmsten Parteifeind dieses Meisterstück gelingt, muss Nahles ihre Stimme wiederfinden.