Koalitionskrise Seehofer: Der Rücktritt vom Rücktritt
Horst Seehofer will die Ämter als Bundesinnenminister und als CSU-Chef aufgeben, wenn es keine Einigung mit Angela Merkel gibt. Damit stellt er der Kanzlerin ein neues Ultimatum.
Berlin. Nach dramatischen Krisenberatungen will CSU-Chef Horst Seehofer am Montag einen letzten Einigungsversuch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Konflikt um die Asylpolitik unternehmen. Von dem Ausgang des Gesprächs machte Seehofer in der Nacht seine politische Zukunft abhängig. Zuvor hatte er der CSU bereits seinen Rücktritt als Parteivorsitzender und Bundesinnenminister angeboten.
Das Spitzentreffen von CDU und CSU zum Asylstreit soll an diesem am Montag um 17.00 Uhr in Berlin stattfinden. Dies erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am frühen Montagmorgen aus Parteikreisen. Die CDU-Führung zeigte sich offen für das von der CSU erbetene Spitzengespräch. Die CDU werde sich dem Ansinnen nicht verweigern, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am frühen Montagmorgen aus der CDU-Spitze. Für 14.00 Uhr ist zudem eine Sitzung der Unionsfraktion, also von allen Abgeordneten von CDU und CSU im Bundestag geplant.
Der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat vor "faulen Kompromissen" im unionsinternen Streit über die Asylpolitik gewarnt. "Wir müssen jetzt aufhören irgendwelchen Kleister darüber zu schmieren - das muss jetzt ausgetragen werden", sagte Friedrich der "Bild"-Zeitung vom Montag. "Wir erleben seit 2015, dass Europa gespalten ist, dass ein Keil zwischen CDU und CSU getrieben ist." Friedrich äußerte sich aber nicht konkret zu den Folgen eines möglichen Rücktritts von Horst Seehofer als Bundesinnenminister und CSU-Chef. Sollte er zurücktreten, bedeute das nicht automatisch, dass alle CSU-Minister abgezogen werden. "Es gibt keine Automatik für irgendwas", sagte Friedrich.
Seehofer bezeichnete den geplanten neuen Einigungsversuch als „Entgegenkommen“ von ihm an seine Partei. Ohne eine Einigung werde er in den nächsten drei Tagen den Rücktritt als Parteichef und Bundesinnenminister vollziehen, sagte Seehofer am frühen Montagmorgen in München. Es gehe auch um die Handlungsfähigkeit der großen Koalition.
Dieser Entwicklung waren dramatische, teils chaotische getrennte Beratungen der Unionsparteien vorausgegangen. Höhepunkt war das Angebot Seehofers, seine Ämter niederzulegen. Als Grund für sein Angebot führte er nach Teilnehmerangaben fehlenden Rückhalt innerhalb der CSU an. In der Sitzung der Spitzengremien habe er nicht die volle Geschlossenheit erhalten, sagte der Parteivorsitzende am späten Sonntagabend in der zu dem Zeitpunkt bereits etwa acht Stunden andauernden Beratungen. Diese sei in der Auseinandersetzung mit Merkel aber nötig.
Seehofer skizzierte in der Sitzung drei Handlungsoptionen für sich: Diese gingen vom Aufgeben der CSU-Positionen über Härte gegenüber der Schwesterpartei CDU bis zum Rücktrittsangebot. Als Seehofer seinen Rücktritt anbot, scharten sich seine Unterstützer um ihn: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ergriff das Wort und erklärte, Seehofers Rücktrittsangebot nicht zu akzeptieren. nach Beratungen mit der Parteispitze kam es zum Vorschlag des neuen Gesprächs mit Merkel.
Zeitgleich zum Bekanntwerden der dramatischen Entwicklungen bei der Schwesterpartei in München trat in Berlin CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin vor die Presse und verlas vor Journalisten einen Beschluss des CDU-Bundesvorstands, in dem der Parteichefin Merkel im Konflikt mit Seehofer der Rücken gestärkt wird. „Einseitige Zurückweisungen wären das falsche Signal an unsere europäischen Gesprächspartner“, heißt es in der bei einer Enthaltung gefassten Erklärung.
Kramp-Karrenbauer erfuhr von dem Rücktrittsangebot Seehofers, als sie im Aufzug des Konrad-Adenauer-Hauses auf dem Weg zu dem Pressestatement war. Die Unionsspitze hatte zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon seit Stunden beraten und wartete auf eine Entscheidung der CSU.
Mitglieder des CDU-Bundesvorstands zeigten sich erstaunt, mit welcher Härte Seehofer an seiner Forderung nach Zurückweisungen an der Grenze festhielt. „Im Augenblick rollen die Züge aufeinander zu - die CSU sollte sich ernsthaft überlegen, was hier auf dem Spiel steht“, sagte der CDU-Politiker und EU-Kommissar Günther Oettinger.
Denn direkt zu Beginn der CSU-Krisensitzung am Sonntagnachmittag hatte sich Seehofer äußerst kritisch zu den von Merkel beim EU-Gipfel erreichten Vereinbarungen zur Verringerung der Migration geäußert. Diese seien nicht wirkungsgleich mit den von ihm geforderten Zurückweisungen von bereits in anderen EU-Staaten registrierten Flüchtlingen an der deutschen Grenze, sagte er.
In der CDU waren viele davon ausgegangen, dass der CSU-Chef die weitreichenden Beschlüsse der EU zur Migration als seinen Erfolg verkauft. Die Gipfelbeschlüsse seien Seehofers Ausweg aus dem Konflikt, hieß es in Berlin. Doch das sah Seehofer anders. AFP/dpa