#Uhrengate Die verlogene Rolex-Debatte

Düsseldorf/Berlin · Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) erfährt im #Uhrengate um ein Rolex-Foto prominente Unterstützung des Politik- und Medienbetriebs der Hauptstadt. Die Diskussion verrät mehr über elitäre Abgehobenheit als ihren Vertretern lieb sein kann.

Die Uhr des Anstoßes: Sawsan Chebli mit einer Rolex zum Preis von 7300 Euro 2014 nach ihrer Ernennung zur Vize-Sprecherin des Auswärtigen Amts.

Foto: dpa/Michael Hanschke

Kennen Sie die Geschichte vom erfolgreichen bergischen Unternehmer, der im Gebrauchtwagen mit Dachgepäckträger bei seinen Kunden vorfährt – und den privaten Luxus-Schlitten lieber in einer heimlich gemieteten Garage der Nachbarstadt stehen hat? Das schönste an dieser Geschichte ist: Sie ist wahr. Und wer weiß, wie Menschen ticken, mag das mit der Garage in der Nachbarstadt vielleicht etwas übertrieben finden, aber grundsätzlich ist es nicht dumm, den Leuten, von deren Geld man lebt, nicht mit Penetranz auf die Nase zu binden, wie gut es sich von ihrem Geld lebt.

Mit drei Worten wäre die Debatte beendet – aber es geht um Chebli

Preisfrage: Wie schlau ist es, wenn eine aus Steuergeld bezahlte Bundesbedienstete, die von ihrer Partei als Symbol für die Aufstiegschancen von Migrantinnen in Amt und Würden gehoben wurde, im Amt aber vor allem durch Zweifel an ihrer fachlichen Eignung auffällt, sich auf einem ausschließlich zur öffentlichen Darstellung hergestellten und verbreiteten Foto mit einer Uhr präsentiert, deren Preis doppelt so hoch ist wie das durchschnittliche deutsche Brutto-Einkommen und das Achtzehnfache des Hartz-IV-Regelsatzes beträgt? Die einfache Antwort könnte in drei Worten lauten: nicht sehr schlau.

Und damit könnte die Diskussion um die Uhr beendet sein, hieße die Trägerin nicht Sawsan Chebli. Die 40-Jährige ist Staatssekretärin für „Bürgerschaftliches Engagement und Internationales“ des Landes Berlin und dessen Bevollmächtigte beim Bund. Vor allem aber ist sie eine der umstrittensten politischen Beamtinnen Deutschlands.  Ihre politische Karriere in der SPD begann 2010 als „Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten“ in der Berliner Senatsverwaltung. Von dort engagierte sie der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2014 als stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amts. Zu ihrer Präsentation entstand 2014 ein Foto, das Chebli mit einer Rolex am Arm zeigt.

Dieses Foto grub ein Facebook-Nutzer am vergangenen Freitag aus und versah es mit dem Preis der Uhr und dem Kommentar: „Alles was man zum Zustand der deutschen Sozialdemokratie 2018 wissen muss.“ Daraufhin brach auf dem Facebook-Account von Chebli und bei Twitter ein Sturm des Hasses gegen die Staatssekretärin los, überwiegend geführt von Rassisten und rechten Hetzern. Auch Medien, vor allem Berliner Hauptstadt-Journalisten, und Politiker griffen die Debatte auf – und drehten ihre Richtung: Das sei alles bloß eine Neid-Diskussion rechter Hetzer. So twitterte der Wuppertaler SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh: „Eine junge Frau mit Migrationshintergrund darf sich von ihrem hart erarbeiteten Geld also keine schöne Uhr kaufen? Dieser von rechts gesteuerte Shitstorm ist erbärmlich und entlarvt Weltbild und Charakter all derjenigen, die sich daran beteiligen.“

Inzwischen trägt Chebli häufiger eine „Ballon Bleu“ von Cartier für 9850 Euro.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

„Spiegel“ über Chebli: „So ziemlich mit allen überworfen.“

Gerade in der Frage des harten Erarbeitens scheiden sich bei Sawsan Chebli die Geister. Aus einer „Spiegel“-Geschichte dieses Jahres über ihre Karriere als Vize-Sprecherin im Auswärtigen Amt: „In ihren drei Jahren im Auswärtigen Amt überwarf Chebli sich so ziemlich mit allen, vom direkten Vorgesetzten bis hin zum Fahrdienst. Der Personalrat war anscheinend mit Beschwerden über sie befasst. Das hing natürlich auch damit zusammen, dass Chebli im biederen Auswärtigen Amt auffiel wie ein Flamingo in der Arktis. Chebli trug teure Handtaschen, sie protzte mit ihren Kontakten ins saudische Königshaus (was unter den Diplomaten eher Skepsis als Bewunderung hervorrief) und es machte die Sache auch nicht besser, dass sie in Pressekonferenzen oft unvorbereitet wirkte und auf Nachfragen patzig reagierte. Aber Chebli machte einfach immer weiter, es ging ja auch. ,Sie ist im Grunde unkündbar, und sie weiß das‘, sagt ein ehemaliger Kollege, der sie sehr mag. Ein Rausschmiss Cheblis wäre ja irgendwie auch das Eingeständnis, dass die Integration gescheitert ist.“

Die SPD hat Chebli zum Beispiel gelungener Integration erkoren

Für viele in der SPD ist Chebli trotz ihrer fachlichen Pannen unverändert ein Vorzeige-Beispiel gelungener Integration: Sie ist (in Berlin geboren) das zwölfte von 13 Kindern einer palästinensischen Familie, die 1948 in den Libanon floh und zwei Jahrzehnte in einem Flüchtlingslager lebte. Ihr Vater machte sich auf nach Deutschland, wurde drei Mal ausgewiesen, kehrte dreimal zurück und holte schließlich seine Frau und elf Kinder ebenfalls nach Deutschland. Als 15-Jährige bekam Chebli einen deutschen Pass, packte das Abitur und studierte.

Diese Geschichte erzählt sie immer und immer wieder. Auch nach der „Rolex“-Attacke twitterte sie: „Wer von Euch Hatern hat mit 12 Geschwistern in 2 Zimmern gewohnt, auf dem Boden geschlafen & gegessen, am Wochenende Holz gehackt, weil Kohle zu teuer war? Wer musste Monate für Holzbuntstifte warten? Mir sagt keiner, was Armut ist. #Rolex“ Und diese verschobene Diskussion prägt nun die Debatte. Auf Facebook fragte Alan Posener (Welt, Welt am Sonntag und kürzlich Gastautor dieser Zeitung) mit einem Anflug von Verzweiflung: „Der Shitstorm gegen Sawsan Chebli zeigt jeder muslimischen Frau in Deutschland: wie du es machst, ist es falsch. Trägst du Kopftuch, bist du unaufgeklärt. Trägst du Minirock, bist du eine Hure. Bist du auf Hartz IV, belastest du das Sozialsystem. Bist du erfolgreich und trägst eine Rolex, bis du unglaubwürdig. Was für ein Anreiz, es hier zu schaffen!“

Lindners Verteidigung müsste die SPD misstrauisch machen

Endgültig nachdenklich werden müssen hätten Chebli-Verteidiger, als der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, bekennender Nutzer und Besitzer zahlreicher Luxusgüter von Porsche bis Rolex, zur Verteidigung  der Staatssekretärin ansetzte: „Was @SawsanChebli im Öffentlichen Dienst verdient, ist bekannt. Über ihre Arbeit kann man demokratisch entscheiden. Was sie mit ihrem verdienten Geld privat macht, geht niemanden etwas an. Soll sie doch #Rolex tragen. Man muss nicht arm sein, um gegen Armut zu sein.“ Und seine Düsseldorfer Stellvertreterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ergänzte zur Feststellung des „Stern“, das „Uhrengate“ sei ein PR-Desaster für eine Partei im freien Fall: „Da muss man auch als politischer Wettbewerber sagen: Das ist völliger Unsinn. @SawsanChebli protzt nicht, sie hat sich die Uhr selbst hart erarbeitet. Das ist kein Uhrengate, sondern eine sinnlose deutsche Neiddebatte, die nun künstlich hochgeschrieben wird.“

Persönlicher Lebensstil ist in der Politik keine Privatsache

Natürlich wissen Lindner und Strack-Zimmermann, dass diese Sorte „Beistand“ die Qualität einer Umarmung hat, die den Umarmten in Atemnot bringt: Das Postulat, den persönlichen Lebensstil als Privatsache zu behandeln, hat in der Politik nie funktioniert; bei Sozialdemokraten erweist er sich als politisches Gift – vor allem, wenn er willentlich inszeniert wird. Gerhard Schröder sind seine Auftritte im Brioni-Maßanzug und mit Cohiba-Zigarre keineswegs gut bekommen.

Einer der zahlreichen früheren Vorsitzenden der SPD beschrieb es in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten als ein zentrales Problem seiner Partei, dass kaum noch einer ihrer relevanten Amts- und Mandatsträger tatsächlich im gleichen Viertel wohne, wie die Wählerinnen und Wähler, die man daher auch verloren habe.

Bei dem Unbehagen, das Cheblis Rolex-Bild jenseits aller rechten Hetze gegen sie (inzwischen hat sie ihren Facebook-Account deaktiviert) auslöst, geht es weder um eine Uhr noch um Integration noch um Rassismus noch um ungehörigen Neid. Es geht um Angemessenheit. Es geht um das, was der bergische Unternehmer mit der Garage in der Nachbarstadt intuitiv weiß, und „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt eben nicht, wenn er kühl twittert: „Sozialneid ist arm.“

Die Rolex an Cheblis Arm ist nicht bloß eine Uhr. Sie ist das Symbol einer Repräsentationskrise. Es ist unklug, alle mundtot machen zu wollen, die das so empfinden.