Klima UN-Klimakonferenz vor dem Scheitern? EU will 1,5-Grad-Ziel retten
Scharm el Scheich · Frustrierte Minister, versteinerte Mienen, flammende Appelle: Nach zwei Wochen sind viele Streitpunkte immer noch ungelöst auf der UN-Klimakonferenz. Die Kritik an den ägyptischen Gastgebern wächst. Fährt das Treffen vor die Wand?
Die UN-Klimakonferenz in Ägypten steckt in einer Sackgasse und droht zu scheitern. EU-Kommissionsvize Frans Timmermans und Außenministerin Annalena Baerbock warnten am Samstag, dass sie notfalls auch ein Platzen des zweiwöchigen Treffens in Scharm el Scheich in Kauf nehmen. „Wir werden keinen Vorschlägen zustimmen, die das 1,5-Grad-Ziel zurückdrehen“, stellte Baerbock nach ergebnislosen nächtlichen Verhandlungen klar. Und Timmermans sagte, gewisse rote Linien werde der Staatenverbund nicht überschreiten. „Es ist besser, kein Ergebnis zu haben als ein schlechtes.“
Die Weltklimakonferenz, zu der etwa 34 000 Teilnehmer angereist sind, war am Freitagabend in die Verlängerung gegangen. COP-Präsident Samih Schukri sagte am Morgen danach: „Es gibt ein gleiches Maß an Unzufriedenheit von allen Seiten.“ Die Vertreter der rund 200 Staaten wollten nun weiter über eine Abschlusserklärung beraten. Der Frage nach einem möglichen Scheitern wich er aus. „Jede Partei hat das volle Recht, sich einem Konsens anzuschließen oder nicht anzuschließen.“
In Verhandlungskreisen brach in der Nacht tiefe Beunruhigung aus, nachdem Delegationen für nur wenige Minuten von der ägyptischen Präsidentschaft vorgelegte Textentwürfe zum Stand der Verhandlungen zu sehen bekamen. „Das ist extrem ungewöhnlich“, sagte ein Verhandler über den Endspurt. Die Delegationen hätten den Text nicht mitnehmen, sondern nur 20 Minuten anschauen und dann kurz kommentieren dürfen.
Insbesondere bei den Passagen, in denen es um die Eindämmung der Erderwärmung geht, sei der Text „das Gegenteil von dem, was passieren muss“, berichtete ein besorgter Delegierter. Baerbock verwies auf kursierende Vorschläge, wonach kein Staat in den nächsten zehn Jahren seine Klimaschutz-Ambitionen steigern müsste. „Dann würde das 1,5 Grad Ziel hier auf dieser Konferenz sterben. Und da macht die Europäische Union nicht mit“, betonte sie.
2015 hatte die Weltgemeinschaft in Paris vereinbart, die Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Die Welt hat sich nun schon um gut 1,1 Grad erwärmt, Deutschland noch stärker. Ein Überschreiten der 1,5-Grad-Marke erhöht nach Warnungen der Wissenschaft deutlich das Risiko, sogenannte Kippelemente im Klimasystem und damit unkontrollierbare Kettenreaktionen auszulösen.
Baerbock sagte, die Erderhitzung und ihre Folgen wie häufigere Dürren, Stürme und Überschwemmungen brächten schon jetzt viele der verletzlichsten Staaten an den Rand des Kollaps - und diesen müsse geholfen werden. Man sei nicht nur in Ägypten „um Papier zu produzieren“. Die Konferenz müsse einen großen Schritt vorankommen.
Timmermans äußerte sich ebenfalls sehr besorgt über die Verhandlungen. Man werde bis zum Ende um eine Einigung ringen, sei aber notfalls auch bereit, ohne eine Erklärung abzureisen. „Die Nachricht an unsere Partner ist klar: Wir können nicht akzeptieren, dass das 1,5-Grad Ziel hier und heute stirbt.“
Angesichts der Verzögerungen und einem Verhandlungsprozess, den Teilnehmer als chaotisch beschreiben, wuchs auch die Kritik an den ägyptischen Gastgebern. COP-Präsident Schukri gestand den Unmut der Teilnehmer am Samstag zwar ein, spielte den Ball aber zurück und sagte, die Verantwortung für eine Einigung liege bei den Ländern. Auch sein Sonderbeauftragter für die COP27, Botschafter Wael Abulmagd, wies Kritik zum schleppenden und teils umständlichen Verhandlungsprozess zurück und spielte Sorgen herunter. „Ich glaube, wir müssen uns keine großen Sorgen machen“, sagte Abulmagd.
Ein wichtiger Streitpunkt ist auch, ob ein extra Finanztopf für Klimaschäden in besonders gefährdeten Staaten eingerichtet werden und wer in diesen Fonds einzahlen soll. Die EU ist hier offen für eine Einigung, allerdings nur unter der Bedingung, dass die Gelder nur ärmeren, sehr bedrohten Ländern zugutekommen. Zudem soll alles an ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen gebunden sein. Ein Durchbruch bei der Frage, im UN-Jargon „loss and damage“, wäre Experten zufolge ein Hoffnungsschimmer am Ende des Treffens.
Umstritten ist dabei unter anderem die Rolle Chinas. Das Land will im internationalen Klimaschutz weiter als Entwicklungsland behandelt werden, so wie 1992 im Kyoto-Protokoll festgelegt. Westliche Staaten aber wollen China wegen seiner Wirtschaftskraft und der Rolle als größter Verursacher von Treibhausgasen nicht länger als Empfängerland für Gelder einstufen.
Der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, sagte zu dem Hickhack: „Am letzten Tag der COP prallen Klimakrise und Geopolitik mit voller Wucht aufeinander. Anstatt eine kurz- und langfristige Lösung für die Übernahme der Schäden und Verluste im Interesse der am meisten getroffenen Menschen durch alle reichen Superemittenten zu finden und die Welt weiter auf einen 1,5-Grad-Pfad zu bringen, werden hoffnungsgebende Ergebnisse zwischen den Staatenblöcken der UN zerrieben.“
Zur Rolle der ägyptischen Konferenzleitung sagte Kaiser: „Es ist inakzeptabel und noch nie dagewesen, dass eine COP-Präsidentschaft völlig intransparent operiert und Zivilgesellschaft und Staaten Tische und Stühle wegräumt, bevor die Konferenz zu Ende ist.“
In einem am Freitagmorgen von der Konferenzleitung veröffentlichten ersten Entwurf für die Abschlusserklärung wird zwar ein schrittweiser Kohleausstieg gefordert. Die Forderung etlicher Staaten, darin auch den Abschied von Öl und Gas festzuschreiben, wurde aber nicht aufgegriffen - was für Kritik von Klimaschützern sorgt und auch vielen Staaten nicht gefällt.