Nachdenken über Europa Wirtschaftsrat der CDU und "Europa in der Zeitenwende"

Hochkarätig besetzter Wirtschaftstag diskutiert über Flüchtlings- und Schuldenkrise, Nullzinspolitik sowie die anstehende Brexit-Entscheidung.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) war einer der Redner beim Wirtschaftstag in Berlin.

Foto: Klaus-Dietmar Gabbert

Berlin. "Europa taumelt von einer Krise in die nächste. Wir müssen zurück in den Gestaltungsmodus kommen", sagte Werner M. Bahlsen, Präsident des Wirtschaftsrates der CDU e.V., am Dienstag in Berlin. Flüchtlingskrise, Schuldenkrise und Nullzinspolitik sowie die anstehende Brexit-Entscheidung führten zur Spaltung in Europa. Unter der Überschrift "Europa in der Zeitenwende" diskutierte der Wirtschaftsrat mit Entscheidern und Unternehmern in Berlin diese Themen bei seinem diesjährigen Wirtschaftstag.

Jeroen Dijsselbloem: "Die Flüchtlingskrise und der Terrorismus haben uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass die EU Wohlstand und Sicherheit für alle nicht leisten kann, wie wir uns das eigentlich vorstellen würden. Wir spüren, wie die starke Zuwanderung uns unter Druck setzt. Wir müssen nun das soziale Gleichgewicht schützen. Und: Die EU ist nicht kugelsicher, die Außengrenzen sind bisher nicht stark genug." Er betonte, dass die Zuwanderung durch Flüchtlinge nicht die demographischen Probleme in Europa lösen könne.

Wolfgang Schäuble: "Wir haben keine überzeugenden europäischen Antworten in der Flüchtlingskrise. Wir müssen unsere Außengrenzen besser kontrollieren. Dafür brauchen wir unsere dortigen Nachbarländer als Partner, auch die Türkei. Das ist ganz unabhängig davon, ob uns das Regime dort gefällt oder nicht. Auf die Nachfrage nach den Grenzen der Aufnahmebereitschaft, sagte Schäuble unter großem Applaus: "Ein Christ muss barmherzig sein, aber der Staat darf nicht barmherzig sein, er muss gerecht sein, weil er sonst Stabilität und Gerechtigkeit nicht gewährleisten kann." Er plädierte dafür, Not und Elend dort anzugehen, wo die Flüchtlinge herkommen. Wir werden uns viel stärker im mittleren Osten und in Afrika engagieren müssen."

Nicolas Sarkozy: "Was läuft schief in Europa? Schengen ist zusammengebrochen, doch gibt es eine Idee, einen Plan, was folgt? Wir brauchen Schengen 2." Europa sei weltweit einer der offensten Kontinente. "Versuchen sie mal, in die USA zu gelangen! Wir müssen entscheiden, wer nach Europa kommt." Er sei für die Freizügigkeit aller Europäer. Aber nicht für die Freizügigkeit aller Nicht-Europäer. Die Führungsrolle in Europa sieht er bei den Deutschen und den Franzosen. Als die größten Volkswirtschaften hätten sie nicht das Recht, sondern die Pflicht zur Führung. Derzeit fehle aber ein Franzose im deutsch-französischem Tandem, merkte er in Richtung des französischen Präsidenten François Hollande an. "Wir müssen das europäische Projekt neu begründen. Wir brauchen einen neuen europäischen Vertrag."

Jeroen Dijsselbloem: "Die Briten stehen mit ihrer Euro-Skepsis nicht allein. In vielen Ländern finden sich Europa-kritische Tendenzen. Wenn sich die Briten für einen Verbleib entscheiden, werden sie eine viel größere Rolle in Europa spielen müssen. Dann müssen wir eine bessere EU aufbauen. Nennen sie mich einen Optimisten, aber ich glaube, dass wir das schaffen können."

Wolfgang Schäuble: "Europa ist nicht in guter Verfassung. In immer mehr Mitgliedsstaaten steigt die Zahl der EU-Skeptiker - vom rechten wie vom linken Rand. Wie immer sich die Briten entscheiden - wir können nicht einfach so weiter machen, sonst werden die Menschen sagen: 'Ihr habt nicht verstanden.'"

John Cryan: Der Chef der Deutschen Bank versuchte es zunächst mit Humor: "Ich freue mich, dass wir uns heute hier versammeln. Denn das stellt sicher, dass ich beim Thema 'Europa in der Zeitenwende' auf jeden Fall noch mitreden darf - auch als Brite." Auf die Frage, ob er seine Heimat in dieser Sache verstehe, sagte er: "Es ist eine ungesunde Vorstellung, dass viele Briten glauben, dass Migranten Ihnen die Arbeit wegnehmen. Im Gegenteil, Migranten sind eine Bereicherung. Was aber die Sorge befeuert, ist das Tempo, mit der die Zuwanderung erfolgt. Die Sorge, dass die Sozialsysteme überfordert werden." Wie er selbst abstimmt, wollte er mit Blick auf das Wahlgeheimnis nicht beantworten. Aber: "Ich bin dafür, dass wir bleiben."

Nicolas Sarkozy: "Für mich ist die Vision 'Großbritannien raus, Türkei rein in die EU' unvorstellbar. Ich bin dafür, dass die Briten bleiben. Die Folgen einer Abkehr wären fatal. Wie lange würden Schotten, Flamen, Katalanen dabei zusehen?" In Europa gewinnen nur die, die konvergieren."

Jeroen Dijsselbloem: "Wir Politiker hängen viel zu stark von der Geldpolitik ab. Wir sollten die Probleme lieber selber lösen, als immer auf die EZB zu schauen." Zudem habe die EZB ein klares Mandat der Politik. Er warb daher "ein wenig" um Verständnis für die Währungshüter und ihre Nullzinspolitik-Politik, auch wenn es bitter für die Sparer sei. Die EZB müsse die gesamte Eurozone in den Blick nehmen.

John Cryan: "In Südeuropa sind vielerorts Kredite knapp. Die Niedrigzinsen, mit denen die EZB die Konjunktur eigentlich unterstützen will, kommen bei vielen Handwerksbetrieben und Industrieunternehmen gar nicht an. Im Gegenzug machen die niedrigen Zinsen die Situation für die Banken noch schwieriger. Sie verdienten zu wenig, um ausreichend Finanzpuffer zu schaffen. Mich treibt die Sorge um, dass sich Teile Europas nach und nach in eine Dauerstagnation manövrieren könnten."

Nicolas Sarkozy: Der frühere französische Präsident forderte mehr Eigenständigkeit der Europäer in der Finanzpolitik. "Wir brauchen einen europäischen Währungsfonds. Was hat der Internationale Währungsfonds mit Europa zu tun?"