Viel Jubel in Düsseldorf für die wiederentdeckte Oper „Der Kreidekreis" von Alexander Zemlinsky – nach einem chinesischen Märchen Von der Konkubine zur Kaiserin
DÜSSELDORF · . Frauen in schwebenden Käfigen – so bringt der Kuppler Tong seine „Ware“ an die Männer. Hübsche Mädchen wie Tschang Haitang kauft Tong in Not geratenen Familien ab, um sie mit zigfachem Aufpreis teurer an reiche Männer zu verschachern.
Ein einträgliches Geschäft, das Tong mit einem mächtigen Gong und sarkastischen Sprüchen kommentiert. Und so das Publikum im dicht besuchten Düsseldorfer Opernhaus zum Schmunzeln bringt. Zunächst tragisch indes ist das Schicksal des Mädchens Haitang: Ihr Vater hatte sich vor Gram erhängt, die Mutter musste die Tochter aus finanziellen Gründen verkaufen und im Käfig wird sie vom wohlhabenden Mandarin Ta erworben.
Die unschuldige Haitang bringt Herrn Ta endlich den ersehnten Erben auf die Welt, wird von ihm geliebt und tritt ungewollt in Konkurrenz zu Tas unfruchtbarer Erstfrau Yü-Pei, die Panik davor hat, enterbt zu werden. Voller Hass bekämpft sie Haitang bis aufs Messer. Sie vergiftet ihren Mann und raubt Haitangs Kind. Hier spannender Psychothriller, dort Satire; hier symphonisch untermalter Sprechgesang, dramatisch aufflackernde Duette und Soli – dort reines Sprechtheater: Ungewöhnliche Genre-Mischungen bietet die Oper „Der Kreidekreis“ von Alexander Zemlinsky, die jetzt in Düsseldorf eine bejubelte Premiere erlebte.
In Szene gesetzt von David Bösch: Dank sensibler Personenführung, stark symbolischer und poetischer Bilder mit fliegenden Blütenblättern (Patrick Bannwart) und dank brillanter Sängerdarsteller leuchtet der renommierte Regisseur die verschiedenen Ebenen des Märchens und Haitangs Stationen aus. Ovationen für das Team, besonders aber für Hauptdarstellerin Lavinia Dames (Haitang), Matthias Koziorowski (Prinz Pao, später Kaiser), Sarah Ferede (als erste Gattin Yü-Pei) und Joachim Golz (Ma).
Das selten gespielte Musikdrama, das Zemlinsky nach einem Märchenspiel aus dem chinesischen Kaiserreich von Klabund komponierte, wurde 1933 in Zürich uraufgeführt. Erstaunlich: Erstmals erscheint die Geschichte der Konkubine, die am Ende von drei Opern-Stunden, sozusagen in letzter Sekunde, zur Kaiserin aufsteigt, auf dem Rheinopern-Spielplan.
Den märchenhaften Aufstieg auf den Thron erreicht Haitang erst nach quälenden Demütigungen durch die bösartige Yü-Pei, nach Mordanklage, Verurteilung durch bestochene Zeugen und Richter und Gefangenschaft. Wenn der Prozess gegen Haitang auch durch den auftrumpfenden Theaterschauspieler Werner Wölbern zu einer gepfefferten Farce auf Gerichtsverfahren in totalitären Systemen mutiert, so bleibt Haitangs Geschichte anrührend märchenhaft. Das Todesurteil wird durch den neuen Kaiser Pao, der sich als Prinz in Haitang verliebt hatte, aufgehoben. Und, wie im Märchen üblich: Sie wird seine Frau.
Natürlich erst, nachdem er herausfand, dass Haitang und nicht Yü -Pei die wahre Mutter des Kindes ist. In einem Kreidekreis lässt er das Kind platzieren, das beide für sich beanspruchen und zu sich, in ihre Bahn, ziehen wollen. Durch Yü-Peis heftiges Zerren an den Gelenken des Kindes erkennt der Kaiser, dass Haitang die leibliche Mutter ist, da sie das Kind loslässt, um es nicht zu verletzen. Von Anfang an spitzt Bösch die Bilder zu und landet manchmal am Rande des Plakativen. So mischt die böse Yü-Pei (Sarah Ferede mit kräftiger Stimme) in feuerrotem Kostüm den Gifttrank, an dem Ta stirbt. Haitang (Lavinia Dames mit ihrem sicheren, charakterstarken Sopran) indes in weißem Gewand und schwarzem Haar trippelt wie eine Geisha und spielt die Unterwürfige. Die einzige Figur, die eine Wandlung vollzieht, ist Ta: Exzellent zeigt Goltz die Entwicklung vom brutalen, gewalttätigen Macher zu einem sensiblen Menschen mit echten Gefühlen. Nur durch seine Liebe zu Haitang. „Ich glaube, weil ich liebe.“
Und die Musik? Zemlinskys Partitur ist ebenso auf Genre-Mischung aus – und auf das Pendeln zwischen Lyrik und Dramatik. Mal jazzige Unterhaltungsmusik – etwa, wenn der Kuppler Tong (Cornel Frey mit sattem Tenor) wie ein Zirkusdirektor auf Pauke und Gong haut. In Liebesszenen zwischen dem unbekannten Prinzen Pao und Haitang und anderen dramatischen Steigerungen erinnern Orchester und Sänger an Bühnenwerke von Richard Strauss, Gustav Mahler, dann wieder an Kurt Weill oder Schönberg-Moderne. Spätromantik vermengt er mit fernöstlichen Klängen oder trivialen Kabarett-Sounds. Mal kammermusikalisch feingezeichnet, dann weit ausschwingende, hochdramatische Ausbrüche, beinah wie Wagner-Opern. Den Düsseldorfer Symphonikern unter Leitung von Hendrik Vestmann gelingt diese musikalisch verwegene Achterbahnfahrt und der permanente Stilwechsel erstaunlich gut. Fazit: Dieses Werk ist keine Oper im herkömmlichen Sinn, aber eine Entdeckung. Zumal in Böschs märchenhafter, abwechslungsreicher Inszenierung. Und mit diesen Sängern.
Termine: 7., 14., 27. Dez., 12., 15. Jan. 2025. Karten unter Tel. 0211-8925 211