Anonyme Bewerbungen: Nur die Qualifikation zählt
Berlin (dpa) - Bewerbungen aus der Blackbox? Jetzt startet ein Pilotprojekt, bei dem sich Menschen anonym um ausgeschriebene Stellen bewerben können. Alter oder Herkunft sollen keine Rolle spielen - sondern nur die Qualifikation.
Kritik an dem Projekt übt der Mittelstand.
Kein Foto, kein Name, kein Alter: Lebensläufe sollen künftig nur noch Auskunft geben über die Qualifikation eines Bewerbers, aber keine weiteren persönlichen Angaben preisgeben. Fünf Großunternehmen, das Familienministerium und die Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen testen von diesem Donnerstag (25.11.) an in einem Pilotprojekt anonymisierte Bewerbungsverfahren. Dadurch will die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) unter Leitung von Christine Lüders verhindern, dass Vorurteile oder Vorlieben von Personalchefs bei der Einstellung eine Rolle spielen.
Es könne nicht sein, dass Bewerber oft nur „aufgrund ihres Namens oder ihres Alters keine erste Chance erhalten. Entscheidend für die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber sollte nur die Qualifikation sein“, erklärt Lüders. „Wir brauchen in Deutschland eine neue Bewerbungskultur.“
Frauen haben Lüders zufolge mehr Chancen auf eine Einladung zum Vorstellungsgespräch, wenn sie die Kinder in der Bewerbung nicht erwähnen. Auch ältere Menschen beschwerten sich trotz erwiesener Qualifikation immer wieder, dass sie außen vor bleiben.
Der zwölfmonatige Testlauf soll wissenschaftlich ausgewertet werden. Dabei arbeitet die Antidiskriminierungsstelle mit dem Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) zusammen. In einer IZA-Studie aus diesem Jahr wird zum Beispiel dargelegt, dass die Angabe eines türkisch klingenden Namens die Chancen auf eine Einladung zum Vorstellungsgespräch für einen Praktikumsplatz verringert - im Durchschnitt um 14 Prozent, bei kleineren Unternehmen sogar um 24 Prozent.
Gegner der anonymisierten Bewerbungsverfahren gibt es genug. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt kritisiert, die Pläne seien schwer umsetzbar - sie erhöhten die Bürokratie. Der Mittelstand kritisiert an den „Bewerbungen aus der Blackbox“ vor allem eines: „In den für den Mittelstand typischen Personenunternehmen spielt nicht nur die Qualifikation des Mitarbeiters eine Rolle, sondern mindestens ebenso sehr die persönlichen Merkmale und die gemeinsame Wellenlänge des Bewerbers mit den vorhandenen Mitarbeitern“, bemängelt Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft.
Der Geschäftsführer der internationalen Personalberatung Mercuri Urval in Deutschland, Albert Nußbaum, hält die von ihm unterstützte Initiative dagegen für ein „sehr gutes Signal, das hilft, Voreingenommenheit bei der Personalauswahl abzubauen.“
„Ich glaube, dass alles, was neu ist, erst einmal erschreckt“, sagte Lüders bei der Projektpräsentation im August. Einen Zwang zu anonymisierten Verfahren werde es nicht geben: „Bei unserer Initiative setzen wir auf Überzeugung und Freiwilligkeit.“
Lüders ist nicht der Ansicht, dass sich Diskriminierung von der Durchsicht der Unterlagen ins Vorstellungsgespräch verschiebt. „Ein deutscher Personaler oder eine Personalerin verwendet im Durchschnitt zwei bis vier Minuten für die Durchsicht einer Bewerbung. In dieser frühen Phase wollen wir verhindern, dass eingefahrene Selektionsmuster zum Tragen kommen“, meint Lüders.
Bei Modellprojekten zu anonymisierten Bewerbungen hinkt Deutschland ihrer Meinung nach hinterher. In anderen Ländern hätten sich die Verfahren bereits bewährt. Inwieweit oder ob überhaupt das Modell nach dem Test übernommen wird, ist erwartungsgemäß unklar. Mit dem Programm wolle zum Beispiel die Deutsche Post, die zu den Teilnehmern zählt, bei der Nachwuchsrekrutierung praktische Erfahrung sammeln, erklärt Walter Scheurle, Personalvorstand von Deutsche Post DHL. Dann werde die Firma entscheiden, „ob oder was wir verändern“.