Bundesabi oder Abi light? - Länder starten gemeinsame Prüfungen

Hannover (dpa) - Die verschiedenen Schulsysteme können Kinder, die von Hamburg nach München ziehen, vor große Probleme stellen. Sechs Länder wollen deshalb das Abitur vereinheitlichen. Kritiker befürchten einen Niveauverlust.

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Zwischen Nordsee und Alpen haben Abiturienten am Freitag (9. Mai) erstmals über einer identischen Englischaufgabe gebrütet. Schülern in Niedersachsen, Bayern, Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen mussten auf Grundlage der gleichen Texte einen eigenen Beitrag auf Englisch formulieren. Auf dem Weg zum bundesweiten Zentralabitur sind die sechs Länder vorgeprescht. Sie haben sich auf gemeinsame Teile der schriftlichen Deutsch-, Englisch- und Mathematikprüfungen verständigt. Ihr Ziel: mehr Vergleichbarkeit und damit mehr Chancengerechtigkeit.

„Ruhezone Abitur“ steht auf einer Tafel im Flur der Integrierten Gesamtschule Roderbruch in Hannover. Die Schüler, die auf den Einlass in den Prüfungsraum warten, geben sich gelassen. „Die gemeinsame Aufgabe macht das Ganze eher leichter. Sie soll sehr vereinfacht sein, denn die Fragestellung muss auf alle Lehrpläne passen“, meint die 18-jährige Laura. Schon die Deutschklausur vor einigen Tagen sei nicht schwer gewesen, berichtet Mitschülerin Angie. „Auf das Thema waren wir gut vorbereitet.“

Für das erste länderübergreifende Abitur gab es im Dezember bereits einen Testlauf. In Bayern hatte dabei die Mathe-Probeklausur für Ärger gesorgt. Nachdem die bayerischen Schüler schlechte Ergebnisse erzielt hatten, stellte es das Kultusministerium den Jugendlichen frei, ob sie die Klausuren werten lassen wollten oder nicht. In Niedersachsen dagegen waren die Mathelehrer mit den Ergebnissen der Testklausur zufrieden.

Die gemeinsamen Aufgaben fließen nur zu einem Bruchteil in die Gesamtnote des Abiturs ein. Das sollte auch so bleiben, meint der Tübinger Bildungsforscher Ulrich Trautwein. „Wenn die Abiturnote ausschließlich auf der Basis von länderübergreifenden Aufgaben gebildet würde, würden diejenigen Abiturienten benachteiligt, die das Pech hatten, weniger gute Schulen zu besuchen.“

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, hält die Ansprüche an Abiturienten besonders in Hamburg, Bremen und Berlin für viel zu gering. „Ich befürchte, dass sich die anspruchsvolleren Länder da etwas anpassen“, sagt der Leiter eines Gymnasiums im bayerischen Vilsbiburg. Insgesamt solle man das länderübergreifende Abitur nicht überbewerten. „Da ist viel Schaufenster-Politik dabei.“

Auch an der Gesamtschule in Hannover gibt es in der Lehrerschaft Vorbehalte. „Als Schreckensgespenst sehen wir ein Zentralabitur wie in Frankreich, bei dem alle an einem Tag schreiben“, sagt der Leiter der Sekundarstufe II, Lutz Gecks. „Im Zuge der Zentralisierung wird der Wissensbereich verstärkt. Die Schüler müssen mehr wissen, aber können weniger.“

Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) hatte die Initiative zum gemeinsamen Abitur als Gebot der Fairness gegenüber den Schülern und die passende Antwort auf die zunehmende Mobilität in Deutschland bezeichnet. Tatsächlich beklagen Eltern, dass etwa ein Umzug von Hamburg nach Bayern aufgrund der unterschiedlichen Schulsysteme ihre Kinder vor große Probleme stellen kann.

Die Abschlusszensur ist immens wichtig, da immer mehr Studiengänge nur Abiturienten mit einem sehr guten Notendurchschnitt offen stehen. „Die Vergleichbarkeit ist ein hohes Gut“, betont der Vorsitzende des niedersächsischen Philologenverbandes, Horst Audritz. Schüler fragten sich zurecht, ob die eigene Note mehr oder weniger wert sei als in einem anderen Bundesland.