Schwerer Job: Pflegekräfte sind rar
Bamberg (dpa) - Sie hat vergessen, dass der Löffel in die Suppenschüssel muss. Gerade noch hatte die alte Dame ihn im Mund, jetzt hängt er unbestimmt neben dem Porzellan. „Und jetzt wieder mit der Hand rein“, sagt Petra Himmelein und führt den Arm der Dame zur Schüssel.
Die Hälfte der Champignon-Cremesuppe tröpfelt auf dem Weg zum Mund auf die Serviette. Himmelein sagt trotzdem: „Super!“. Sie ist Pflegefachkraft, eine mit Spaß am Beruf.
Die Menschen auf ihrer Station geben sich Petra Himmelein preis. „Ich sehe sie nackig. Ich bin ihre Intimste. Da kommen Geschichten vom Krieg, von den Kindern“, sagt sie - und strahlt. Sie macht ihren Job seit 25 Jahren. Himmelein arbeitet in Bamberg im Seniorenzentrum Wilhelm Löhe des Diakonischen Werkes. Manchmal legt sie Flieder in die Betten der Bewohner, bringt den Frühling mit.
Dafür findet Himmelein Zeit. Obwohl sie ihren Job akribisch dokumentieren muss - und das dauert. Versorgt sie eine Schürfwunde, registriert sie das Material dafür im Computer, macht Fotos von der Wunde. Was auch immer sie mit der Wunde macht - es wird vermerkt. Hat einer der Bewohner Schmerzen, führt sie ein Schmerzprotokoll. Himmelein tippt in den PC, wie viele Minuten das Füttern dauert und das Aufs-Klo-Gehen. „Das ist der alltägliche Ablauf, das machen wir nebenbei“, erzählt sie. „Wahnsinn.“
Von der Dokumentation hängen besonders die Pflegestufen ab. Je höher die Stufe, desto aufwendiger - und teurer - die Pflege. Das Bamberger Seniorenheim der Diakonie gehört zu den rund 8800 Pflegeheimen und -diensten in Deutschland, die mit einem neuen Modell arbeiten. Einrichtungsträger, Berufsverbände, Prüfdienste und die Länder entwickelten das Entbürokratisierungs-Projekt. Auch die Kassen saßen mit am Tisch. Die Dokumentation sei vereinfacht, heißt es hierzu von der Arbeitsgemeinschaft der Kranken- und Pflegekassenverbände in Bayern. „So bleibt mehr Zeit für die pflegerische Betreuung.“
Himmelein spürt die Verbesserung. Aber es sei noch immer zu viel zu dokumentieren. Ihr wäre es lieber, wenn die Prüfer von den Krankenkassen ihren Fachkenntnissen mehr vertrauen würden. „Was ich nicht aufgeschrieben habe, habe ich nicht gemacht.“
Das Zweite Pflegestärkungsgesetz bringt 2017 fünf - statt bisher drei - Pflegestufen. Dann muss auch über die Zahl der Pflegefachkräfte neu nachgedacht werden. Eine von Experten erstellte Personalbemessung ist aber erst für 2020 vorgesehen. Das ist aus Sicht der Diakonie fatal. Die brauche es jetzt schon, sagt Hermann Schoenauer von der Diakonie in Bayern.
Es gebe Hinweise darauf, dass Pflegefachkräfte bereits an der Oberkante arbeiten, sagt Landes-Caritasdirektor Bernhard Piendl: „Relativ viele steigen aus dem Beruf wieder aus, und wir haben einen überdurchschnittlichen Krankenstand.“ Dabei werden die Menschen in Deutschland immer älter, und die Älteren werden mehr. Das Bundesgesundheitsministerium rechnet damit, dass ihre Zahl bis 2060 auf 4,7 Millionen steigt - heute ist es ungefähr die Hälfte.
Um mitzuhalten, stieg der Beitrag zur Pflegeversicherung im vergangenen Jahr um 0,3 Prozentpunkte. Zum 1. Januar 2017 wird er um weitere 0,2 Prozentpunkte auf 2,55 Prozent steigen. Das Bundesministerium für Gesundheit wirbt damit, dass die Beitragssätze nun bis 2022 stabil gehalten werden können. „Man darf sich aber auf den 0,2 Punkten mehr nicht ausruhen“, sagt Piendl. „Wir müssen in regelmäßigen Abständen überprüfen und gegebenenfalls weiter erhöhen - damit die Leistung nicht sinkt.“
Petra Himmelein managt ihre Zeit, sie erledigt das Nötige, die Bewohner fühlen sich wohl. Dass es Suppe-Essen tropft - „das ist doch wurscht“, sagt sie. Vor allem: Die alte Dame hatte den Löffel selbst in der Hand. „Darum geht es doch! Das hat mit Würde zu tun.“ In ihrem Heim, sagt Himmelein, fehle nicht ständig Personal, aber: „Dass wir diesen hohen Standard halten können, das kann ich mir nicht vorstellen.“