Soziologin: Müttern fehlen Chancen im Job
Berlin (dpa) - Warum bekommen in Deutschland immer weniger Frauen Kinder? Die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung, legt in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa den Finger in die Wunde.
Die Soziologin Jutta Allmendinger erklärt, warum in Deutschland Kindermangel herrscht. Es fehle noch immer an Kinderbetreuung und echten Berufschancen für Mütter, sagt sie. Und Väter kümmerten sich nach wie vor viel zu wenig um die Erziehung ihrer Kinder.
Gibt es aus Ihrer Sicht heute ein Idealbild, dem eine „gute Mutter“ heute zu entsprechen hat?
Allmendinger: „Das Idealbild entspricht einer Mutter, die Zeit für ihr Kind hat. Was aber heißt Zeit? Man versteht darunter qualitativ hochwertige Zeit, in der sich die Mutter ihrem Kind widmen kann und nicht gestresst tausend Dinge gleichzeitig im Kopf hat. In Westdeutschland dachte man lange, je mehr Zeit mit dem Kind, desto besser. Das Ein-Ernährer-Modell legt das ja auch nahe. Heute weiß man, dass Kinder nicht den ganzen Tag bemuttert werden müssen, um sich gut zu entwickeln. Einige Stunden freie Zeit einer Mutter, die von ihrem Leben insgesamt erfüllt ist, reichen. Da entstehen enge Bindungen, die oft für ein ganzes Leben halten. Kinder, deren Mütter erwerbstätig waren, haben als Erwachsene oft eine bessere Beziehung zu ihnen, wie wir aus Befragungen wissen.“
Stehen die verschiedenen Rollen von der Hausfrau bis zur voll berufstätigen Mutter heute gleichberechtigt nebeneinander oder gibt es Abstufungen bei der gesellschaftlichen Anerkennung?
Allmendinger: „Rechtlich haben wir eine widersprüchliche Situation. Wir haben das Ehegattensplitting im Steuerrecht, das Ein-Ernährer-Haushalte und ungleiche Einkommen deutlich begünstigt. Gleichzeitig sollen heute Mütter nach einer Scheidung innerhalb von drei Jahren auf eigenen Beinen stehen. Das sind entgegengesetzte und für Mütter gefährliche Signale. Was die Anerkennung betrifft, so gibt es heute kein Modell, das Erfolg garantiert. Es gibt große Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen Ost und West und auch nach beruflicher Qualifikation. Es gibt heute viele Rollenbilder. Nur die Vollzeit-Hausfrau mit Teenager-Kindern, die nicht erwerbstätig ist, wird nicht mehr allgemein als Modell akzeptiert - es sei denn, sie hat viele Kinder oder arbeitet ehrenamtlich.“
Ist der Begriff „Rabenmutter“ heute noch ernst gemeint?
Allmendinger: „Ja, er lebt noch immer. Es ist in Deutschland sehr stark erklärungsbedürftig, wenn Frauen nach der Geburt nur drei oder vier Monate aussetzen und dann wieder in den Beruf gehen. Das erachtet man als kinder- und familienschädigend. Auch wenn alle Untersuchungen zeigen, dass diese Annahme so pauschal nicht gilt. In anderen Sprachen gibt es das Wort 'Rabenmutter' übrigens gar nicht.“
In Deutschland sind bei Müttern Teilzeitjobs begehrt, obwohl sie oft als Karrierekiller gelten. In Skandinavien ist das anders. Warum?
Allmendinger: „'Begehrt' erscheint mir nicht der richtige Begriff. Die meisten Mütter möchten länger als in begrenzter Teilzeit arbeiten, können es aber schlicht nicht umsetzen. Denn Kindergärten und Schulen sind nicht auf unsere Arbeitszeiten abgestimmt. Wir haben hier auch nicht die hochwertigen Betreuungsmöglichkeiten für kleine Kinder. Väter kümmern sich noch immer zu wenig um die Erziehung ihrer Kinder. Deutschland bewegt sich viel zu wenig und viel zu langsam. Angesichts des Fachkräftemangels und vieler Kinder mit Sprach- oder Bildungsdefiziten ist dies nicht zu verstehen. Eine Teilzeitstelle eröffnet keine Karrierechancen und sichert Müttern im Alter kein unabhängiges Renteneinkommen.“
Es heißt, Frauen in Deutschland hätten die Familie im Nacken, Männer im Rücken. Sehen Sie das auch so?
Allmendinger: „Ja. Und Frauen reagieren, indem sie ihrer finanziellen Unabhängigkeit zuliebe immer häufiger keine Kinder bekommen. Schauen sie sich die Paarkonstellationen an. Männer in Führungspositionen sind meistens verheiratet, haben Kinder und Frauen in bescheidener Teilzeitbeschäftigung. Frauen in Führungspositionen sind häufig alleinstehend oder haben Männer, die ganztags beschäftigt sind und auch führen. Nur wenige haben Kinder. Zum Muttertag wünsche ich mir eine bessere Verteilung der Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern, etwa nach einem 4-Tage-plus-4-Tage-Modell. Ich wünsche mir Betriebe, die Familienfreundlichkeit leben und einen entschlossenen Ausbau von guten Einrichtungen für Kinder und Ganztagsschulen.“