Studieren 2.0 mit MOOCs - Digitale Revolution im Hörsaal
München (dpa) - Sind überfüllte Hörsäle bald passé? Online-Vorlesungen sind in den USA auf dem Vormarsch - und schwappen nun nach Deutschland über. Die Münchner Unis stellen ihre Kurse ins Netz.
Experten sind sich sicher: Das ist die digitale Revolution an der Alma Mater.
Die Harvard Universität ist so etwas wie eine akademische Festung. Die Zulassungsbedingungen sind hart, der Elite-Status ist unangefochten - eigentlich. Denn im Internet heißt es seit einiger Zeit: Harvard für alle. Die Uni hat aus einigen ihrer Kurse Online-Angebote gemacht. Wer wie die Elite Shakespeares Spätwerk, griechische Helden und Anti-Helden oder abstrakte Algebra studieren will, der kann das jetzt auf der ganzen Welt - per Mausklick und ganz ohne Studiengebühren. Von der „Demokratisierung des Lernens“ spricht Jörg Dräger vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh - und von einer Revolution.
MOOCs („Massive Open Online Courses“) nennt sich das Phänomen der Online-Massenkurse, dem sich zahlreiche Top-Unis in den USA angeschlossen haben. Zusammen mit anderen Elite-Schmieden wie Berkeley oder dem Massachusetts Institute of Technologie (MIT) hat Harvard sich zur Plattform „edX“ zusammengetan, wo sie ihre Web-Kurse anbieten. „Die Zukunft des Online-Lernens“ ist die Internetseite überschrieben. Nun kommt dieser Trend auch nach Deutschland.
Die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und die Technische Universität (TU) in München wollen von diesem Sommersemester an erstmals akademische Online-Kurse anbieten. Sie haben sich der „Coursera“ genannten Plattform einer anderen amerikanischen Spitzen-Uni angeschlossen, der Stanford University in Kalifornien. „Coursera“ ist neben „edX“ und dem Vorreiter „Udacity“ eine weitere große Lern-Plattform dieser Art. Die Münchner Universitäten sind die ersten deutschen Hochschulen, die sich einem der großen amerikanischen Netzwerke anschließen.
Die LMU will künftig vier Kurse weltweit über das Netz anbieten - zur Betriebswirtschaftslehre, Zellbiologie, mathematischen Philosophie und Vulkanologie. Die TU steuert einen Kurs über Computervisualisierung bei. Die Kurse sollen in etwa so funktionieren wie Facebook. Der Plan: Die Teilnehmer sollen sich in Diskussionsforen beim Lernen unterstützen. Es gibt Videovorlesungen, interaktive Übungen und ein regelmäßiges Online-Quiz.
„Wir hoffen, dass wir so an talentierte Menschen rankommen, die der Universität sonst vielleicht fern geblieben wären“, sagt ein TU-Sprecher. Das Angebot soll sich auch an Abiturienten richten, die schon mal im Web schauen wollen, was sie später im Uni-Alltag so erwartet. „Die klassischen Uni-Kurse ersetzen sollen die Online-Angebote natürlich nicht.“ Auch einen TU-Abschluss kann man im Internet nicht bekommen - noch nicht.
Der Autor und Internet-Visionär Clay Shirky zieht in seinem Blog allerdings schon Parallelen zu den Umwälzungen in der Musikbranche und nennt MOOCs die MP3s der Hochschulwelt. „Das Hochschulwesen wird jetzt gesprengt“, schreibt er. Und so ähnlich sieht das auch Dräger vom CHE: „MOOCs werden tiefgreifende Veränderungen bringen - auch in der deutschen Hochschullandschaft.“
So könnten beispielsweise kleinere Fachhochschulen ihr Angebot künftig mit eingekauften Online-Kursen renommierter Hochschulen erweitern. Auch Studenten, die sich teure Spitzen-Unis nicht leisten könnten, kämen so in den Genuss spitzenmäßiger Bildung. Und die werde im Übrigen durch die Kurse auch aufgewertet. „Es ist gut, wenn ein Professor nicht mehr nur mit einem Forschungsbeitrag in einer Fachzeitung punkten kann, sondern auch mit Tausenden Zuhörern seiner Vorlesungen“, sagt Dräger. „Es gibt da bereits die ersten Rockstars der Online-Bildung.“
Auch Prüfungen könnten künftig online abgelegt werden, sagt Dräger. So hat „edX“ einen Vertrag mit einer Firma abgeschlossen, die die Abschlussprüfungen abnimmt. Der Internet-Student muss sich ausweisen und legt dann die Prüfung ab. In Zukunft werde es auch möglich sein, die Identität des Prüflings an dessen Tippverhalten auf der Tastatur zu überprüfen. „Das ist wie ein Fingerabdruck“, sagt Dräger. Auch ein Iris-Scan per Webcam sei denkbar.
Tatsächlich finden MOOCs weltweit immer mehr Anhänger: Am ersten Kurs der Online-Universität „Udacity“ von Gründer Sebastian Thrun von der Stanford University über Künstliche Intelligenz nahmen im Herbst 2011 insgesamt 160 000 Teilnehmer aus 190 Ländern teil. Anmelden wollten sich sogar noch mehr, wie Thrun in einem Interview sagte. Doch die Uni zog die Reißleine. 23 000 Teilnehmer schafften die Abschlussprüfung. Unter den besten 400 war kein einziger Stanford-Student. „Das ist eine große Chance auch für Menschen in Entwicklungsländern, die sonst keinen Zugang zu erstklassiger Bildung haben“, betont Dräger.
Das Portal „Coursera“, bei dem die Münchner Unis jetzt mitmachen, verzeichnet kaum ein Jahr nach seiner Gründung im April 2012 nach LMU-Angaben mehr als zweieinhalb Millionen Nutzer für mehr als 200 unterschiedliche wissenschaftliche Kurse.
Und was wird dann künftig aus der Kontaktbörse Uni? Aus gemeinsam geschwänzten Vorlesungen, einem Kaffee oder Belohnungs-Bierchen nach Seit an Seit im Hörsaal geschriebener Prüfung? Der Soziologe und Single-Forscher Stephan Baas hat da keine großen Bedenken. Denn: „Beziehungen werden ja heute auch im Internet geschlossen.“