Viel üben: Wie angehende Ärzte den Praxisschock lindern können
Regensburg (dpa/tmn) - Wer Arzt wird, will Menschen helfen. Doch Medizinstudenten sehen oft jahrelang kaum Patienten. Ihr Alltag besteht aus Lehrbüchern und grauer Theorie. Um dem kalkulierbaren Praxisschock zu entgehen, können sie immer öfter an Simulatoren arbeiten.
Es ist ein Paukstudium - immer noch. Medizinstudenten müssen Körperteile und -funktionen, Krankheitsbilder und Behandlungsstrategien büffeln. Die Praxis bleibt dabei häufig auf der Strecke. Erst seit rund zehn Jahren spielen praktische Fertigkeiten im Studium eine wichtigere Rolle. Doch nach wie vor sind viele Übungsangebote optional. Wer als junger Arzt nicht mit schweißnassen Händen vor seinen Patienten stehen möchte, sollte versuchen, möglichst viele dieser Angebote zu nutzen - selbst wenn das heißt, noch mehr Zeit an der Uni zu verbringen.
„Am Patienten lernen Studenten am besten“, sagt Eva Christina Stibane vom Interdisziplinären Skills Lab Maris der Universität Marburg. Solche Übungen kosten aber Zeit, die Ärzte an Universitätskliniken zwischen Forschung, Behandlungen und dem anfallenden Papierkram kaum haben. Die Lehre am Krankenbett komme daher oft zu kurz.
Außerdem verbringen Patienten immer weniger Zeit im Krankenhaus. „Früher lagen Patienten oft zwei Wochen in der Klinik und freuten sich, wenn ab und zu ein paar Studenten vorbeikamen und sie untersuchten“, sagt Martina Schulz vom Zentrum für Lehre der Universität Regensburg. Das sei heute anders.
Eine Alternative sind Übungen an sogenannten Simulatoren - gemeint sind Puppen, die je nach Ausstattung mehr oder weniger detailgetreu Körperfunktionen nachbilden. Es gibt zum Beispiel Simulatoren, an denen die Studenten Herz- und Lungengeräusche abhören können und solche, mit denen sich der Geburtsvorgang nachstellen lässt.
Die Charité in Berlin war 1999 die erste Universität, die ein Simulationszentrum, ein sogenanntes Skills Lab gründete. „Damals hat man versucht, mehr praktische Fertigkeiten in das Studium zu integrieren“, sagt Wolf Blaum, Leiter des Lernzentrums. Heute können die Studenten zwischen 48 Tutorien wählen und auch eigenständig an den Simulatoren üben.
Inzwischen gibt es an 38 der 43 medizinischen Fakultäten im deutschsprachigen Raum Simulationszentren. „Die fünf anderen bieten Simulation in einzelnen Fachabteilungen an“, sagt Alexander Damanakis vom Universitätsklinikum Marburg, der seine Dissertation über den Stand der Skills Labs schreibt.
Die Angebote unterscheiden sich allerdings sehr. An manchen Universitäten, etwa in Berlin und Marburg, sind Simulationskurse verpflichtender Teil des Studiums. Andere Fakultäten bieten sie auf freiwilliger Basis an. Doch häufig ist der Stunden- und Lernplan so dicht, dass Studenten kaum wissen, wie sie solche Zusatzangebote unterbringen sollen.
Es lohnt sich aber, dafür Zeit freizuschaufeln. „Der große Vorteil der Simulation ist, dass man in einer geschützten Atmosphäre üben kann“, sagt Kai Schnabel von der Universität Bern, Vorsitzender des Ausschusses Praktische Fertigkeiten der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung. „Man muss keine Angst haben, etwas falsch zu machen.“
Doch auch die beste Simulation ist keine Realität. Die Studenten wissen, dass sie die Nadel in einen Gummiarm stechen oder einen Schauspieler untersuchen. Deshalb bleibt der Unterricht am Patienten wichtig.
Wie oft ein Student einen Patienten sieht, hängt auch vom eigenen Engagement ab, sagt Martina Schulz. An vielen Fakultäten gebe es entsprechende Zusatzkurse. Auch die Famulaturen sind eine gute Möglichkeit, die praktischen Fertigkeiten zu verbessern, sagt Martina Schulz von der Universität Regensburg. Sie rät, eine Famulatur in einem angloamerikanischen Land zu verbringen. „Die sind, was die praktische Ausbildung angeht, in vielen Bereichen weiter als wir.“