Ein Leben ohne Sex: Als Erwachsener noch Jungfrau sein
Köln (dpa/tmn) - Ohne Sex und Zärtlichkeiten zu leben, ist für die meisten unvorstellbar. Für Dauersingles ohne jegliche Beziehungserfahrung ist das jedoch Realität. Jemanden kennenzulernen, bedeutet für sie eine große Hürde.
Daran scheitern muss aber niemand.
Den ersten Freund oder die erste Freundin haben die meisten Menschen in ihrer Jugend. Zärtlichkeiten werden ausgetauscht, bis hin zum ersten Sex. Doch für eine Gruppe, die sich selbst Absolute Beginner nennt, bleiben diese Erfahrungen aus. Die Absoluten Beginner sind Männer und Frauen, die unfreiwillig Singles und Jungfrauen sind - auch weit nach ihrer Pubertät.
Die Gründe, warum manche Menschen im Erwachsenenalter noch keine Beziehungserfahrungen oder sexuellen Kontakte hatten, sind verschieden. „Es kann eine Nähe-Distanz-Störung vorliegen“, sagt Gerhild von Müller, Psycho- und Paartherapeutin in Köln. „Das bedeutet, Menschen sehnen sich zwar sehr nach Nähe, haben aber gleichzeitig Panik davor“. Ursache könne jedoch auch einfach der Mangel an Gelegenheiten sein, in Kontakt mit anderen Menschen zu kommen.
Menschen einfach kennenzulernen, ist für einen Absoluten Beginner jedoch eine unüberwindbare Herausforderung. Die 31-jährige Nina* hatte noch nie einen festen Freund. „Ich hätte schon gern eine Beziehung, bin aber auch ziemlich anspruchsvoll.“ Sie vermutet, dass verpasste Gelegenheiten die Gründe für ihr Alleinsein sind: „Über viele Jahre hatte ich mit Krankheiten zu kämpfen. Während dieser Zeit habe ich mich eher um mich selbst gekümmert und war nicht offen für eine Beziehung.“
Nina blockiert sich selbst. Das muss nicht sein: „Im ersten Schritt sollte man sich damit befassen, wonach und nach wem man wirklich Sehnsucht hat. Sowohl langfristig als auch kurzfristig“, sagt Gerhild von Müller. Man sollte Wünsche und Ängste nicht verdrängen und ehrlich zu sich sein.
Ninas Situation teilen mehr Menschen, als viele vermuten. Offizielle Zahlen, wie viele in Deutschland noch keine Erfahrungen mit Liebesbeziehungen gemacht haben, gibt es aber nicht. Prof. Uwe Hartmann, Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft in Dortmund, geht jedoch davon aus, dass die Zahl der Betroffenen derer in den USA ähnelt: Dort wurde 1994 eine repräsentative Studie unter US-Amerikanern im Alter zwischen 18 und 60 Jahren erhoben. Sie ergab, dass rund 4,2 Prozent der Männer sowie etwa 2,7 Prozent der Frauen noch nie Geschlechtsverkehr hatten.
Für Menschen, die noch nie einen Partner hatten, ist die Suche danach eine besondere Herausforderung: „Man muss sich das regelrecht zur Aufgabe machen“, sagt von Müller. „Ratgeberliteratur lesen, im Internet recherchieren oder auch Begleitung durch Psychotherapeuten in Anspruch zu nehmen sind Schritte in die richtige Richtung.“
Es sei wichtig, Augen und Ohren offen zu halten. „Wenn man eingeladen wird: Auf jeden Fall die Einladung annehmen“, rät von Müller. Natürlich könne es einschüchternd sein, auf eine Party zu gehen, bei der man niemanden kennt. Doch nur so können die eigenen Ängste überwunden werden.
Keinen Partner zu finden, kann auch etwas mit einer generellen Einsamkeit zu tun haben. „Erst das Leben umkrempeln, dann den Partner suchen“, sagt Arne Hoffmann, Medienwissenschaftler und Buchautor. „Niemand wird dir ins Wohnzimmer gebeamt.“
Ein schlechtes Körpergefühl hemmt ebenfalls bei der Partnersuche. „Sport, zum Beispiel ein Tanzkurs, kann helfen, das eigene Körperfeeling zu verbessern“, sagt Hoffmann. Sich in seinem Körper wohlzufühlen, steigere das Selbstbewusstsein und den sichereren Umgang mit dem anderen Geschlecht. Ein Tanzkurs habe für Männer außerdem den Vorteil, dass dort generell ein Frauenüberschuss herrscht. „Wer neue Hobbys findet, findet meist schnell neue Bekannte und dann vielleicht auch einen Partner.“ Das sei natürlich kein Automatismus.
Wenn man einen Partner gefunden hat, sollten die Beziehungsneulinge offen damit umgehen, dass sie bisher noch keine Erfahrungen gemacht haben. „Wenn sich etwas anbahnt: Karten auf den Tisch“, rät Prof. Hartmann. Auf keinen Fall sollte hier wieder die Rationalisierung an die Stelle von Gefühlen treten. „'Ich habe Migräne' oder 'Ich muss morgen früh raus', sollten nicht vorgeschoben werden, um Intimität zu vermeiden.“