Erstes Mehrgenerationen-Hospiz in Deutschland eröffnet
Kassel (dpa) - Ein grüner Plüschdrache sitzt auf einer zartrosa Seidendecke, große Fenster geben den Blick über Kassel frei, es riecht noch leicht nach frischer Farbe. Die acht neuen Zimmer des ersten Mehrgenerationen-Hospizes in Deutschland, das jetzt eingeweiht wurde, wirken beruhigend und behaglich.
„Die Zimmer sind alle im Obergeschoss, da sind sie dem Himmel am nächsten“, erklärt Gerhard Paul, der Vorstandsvorsitzende der Heilhaus-Stiftung Ursa Paul. Die ersten Todkranken, die hier „Gäste“ genannt werden, ziehen Anfang April ein.
Die Zimmer sind schlicht möbliert. Sie sollen je nach Bedürfnis und Alter der „Gäste“ angepasst werden. Im „Wohlfühlbad“ könne eine Mutter in Ruhe ein Fußbad nehmen, während das kranke Kind in der Badewanne sitze, erklärt Pflegedienstleiterin Cosima Kramer. Passend dazu steht ein großer Bottich direkt neben einem bequemen Stuhl. Väter und Mütter können sich entweder ein Bett in das Zimmer ihres Kindes bringen lassen. Sie können aber auch in Zimmern auf dem Gelände der Stiftung wohnen. „Viele wissen die Kinder in guten Händen und sind froh, wenn sie nachts schlafen können. Andere wollen den Kindern nicht von der Seite weichen“, berichtet Kramer.
Die Leiterin des Pflege-Bereichs, Viviane Clauss, sieht in der neuen Einrichtung Vorteile im Vergleich zu größeren Häusern: „In großen Strukturen wie in Universitäts-Krankenhäusern kann man nicht anders, als das Sterben schnell abzuhandeln.“ Im Mehrgenerationen-Hospiz dagegen solle das Leben selbstbestimmt zu Ende gelebt werden. Die Umgebung des Hauses bietet Orte für schöne Momente. Im Park können die Gäste spazierengehen. Und von der Dachterrasse aus ist der Herkules im Unesco-Weltkulturerbe Bergpark Wilhelmshöhe zu sehen.
Eigentlich sind in Deutschland Hospize streng nach Alter getrennt. Kinder und Erwachsene sterben nicht in einem Haus. Das hat viele Gründe. So steht Kindern ab dem Zeitpunkt der lebensverkürzenden Diagnose für einige Wochen im Jahr ein Kurzzeitpflegeplatz zu. Damit sollen auch die Familien entlastet werden, die sich in der Pflege oft aufreiben. Zudem sind die Ansprüche an die Mitarbeiter unterschiedlich.
In Kassel gibt es dagegen keine Grenzen zwischen den Generationen. „Vor vielen Jahren kam ein schwer krebskranker Mann zu uns, der sagte, er wolle hier sterben. Seitdem bauen wir nach und nach professionelle Strukturen auf“, erläutert Clauss. „Wir wollen eine Heimat für unsere Gäste werden. Ein Zuhause auf Zeit.“ Clauss sagt sogar, einen solchen Ort wie das Hospiz in Kassel habe sie weltweit noch nicht gesehen.
Die Heilhaus-Stiftung hat 4,3 Millionen Euro in das „Haus der Mitte“ investiert. 1990 von Ursa Paul gegründet und inzwischen von ihrem Sohn Gerhard geleitet, will die Stiftung Geburt, Leben und Sterben in einem Haus ermöglichen. Das Hospiz ist in einer Art Siedlung eingebettet, in der 130 Menschen leben und arbeiten. „Mitgefühl und Nächstenliebe sind die Pfeiler unserer Spiritualität“, erklärt Clauss. 800 Mitglieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz gehören dem Heilhaus an. Der Mehrgenerationen-Gedanke sei mit dem Hospiz nun vollständig umgesetzt.
„Es ist ein neues Konzept, wir müssen sehen, wie es angenommen wird“, beurteilt Lothar Lorenz vom Vorstand des Deutschen Hospiz- und Palliativ Verbandes das Haus. Allerdings sei der Grundgedanke aller Hospize, jeden Menschen aufzunehmen. Lorenz begrüßt die Schaffung acht neuer Plätze. In Hessen seien in den Ballungsgebieten genug Hospize vorhanden, allerdings fehle es in den ländlichen Räumen noch an Angeboten. „In Eschwege und dem Odenwald mangelt es“, ebenso in Fulda, sagte Lorenz.