Tipps von Expertinnen Familie international: Ein Kind, drei Sprachen - so geht das

Bremen/München · Italienisch mit der Mutter, Türkisch mit dem Vater und in der Kita Deutsch: Wie sich Mehrsprachigkeit im Alltag umsetzen lässt und worauf Eltern achten sollten.

Die unterschiedlichen Sprachen sollten regelmäßig im Alltag stattfinden - eine Methode, die dabei hilft: Eine Sprache bestimmten Situationen zuordnen und etwa Deutsch beim Spielen sprechen.

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Erst ein paar Silben, dann die ersten verständlichen Wörter - und plötzlich können sie sagen, was sie möchten und brauchen. Es ist faszinierend zu beobachten, wie Kinder sprechen lernen. Bei vielen Jungen und Mädchen sind es gleich mehrere Sprachen, mit denen sie aufwachsen. Vielleicht reden sie mit Mama Französisch, mit Papa Arabisch und in der Kita kommt noch Deutsch dazu. Oder beide Elternteile haben unterschiedliche Sprachen - und Englisch hat sich als gemeinsame Familiensprache etabliert.

Mehr Sprachen, mehr Vorteile?

„Kinder profitieren von Mehrsprachigkeit“, sagt Claudia Maria Riehl. Die Sprachwissenschaftlerin leitet an der Ludwig-Maximilians-Universität München das Institut für Deutsch als Fremdsprache und die Internationale Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit.

Dass mehrsprachige Kinder in der Schule ihre Zweit- oder Drittsprache auch schriftlich lernen, ist derzeit noch selten. Aber es gibt andere Möglichkeiten.

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Klar, da ist zum einen die Fähigkeit, sich problemlos in mehreren Sprachen verständigen zu können. Aber Riehl sieht noch weitere Vorteile: „Mit mehr Sprachen hat man Zugang zu einer viel größeren Gruppe von Menschen und lernt dadurch, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen.“ Studien zeigten außerdem, dass Kinder, die zwischen mehreren Sprachen wechseln, besser in der Lage sind, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und Ablenkungen auszublenden. Auch bei Kreativitätstests seien sie Einsprachigen überlegen.

Sprache braucht Struktur - auch in der Erziehung

Die Sprachwissenschaftlerin betont jedoch auch: „Das funktioniert nicht von selbst.“ Mehrsprachige Erziehung erfordere Zeit, Energie und Engagement der Eltern. Entscheidend sei, die unterschiedlichen Sprachen voneinander zu trennen. Zum Beispiel, indem jeder Elternteil konsequent nur eine Sprache mit seinem Kind spricht. „One person, one language“ heißt dieser Ansatz. Alternativ könne man auch die Sprachen jeweils bestimmten Situationen zuordnen, sagt Riehl: Beim Spielen beispielsweise wird Deutsch gesprochen, bei den Mahlzeiten Türkisch.

Wird dagegen ständig zwischen den Sprachen gewechselt, „kommt es zu einer Sprachmischung, die unter Umständen dazu führt, dass die Kinder die Sprachen im Gehirn nicht getrennt abspeichern können“, sagt Riehl. Und noch etwas ist ihr wichtig: Nur den Fernseher laufen und die Kinder in der Sprache berieseln lassen - das genügt nicht: „Der aktive Austausch ist wichtig: miteinander sprechen, spielen, vorlesen.“

Alle Sprachen müssen im Alltag relevant bleiben

Ideal wäre in einem dreisprachigen Alltag möglichst gleichmäßig viel Input in den unterschiedlichen Sprachen, „in der Praxis schafft man das oft nicht“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin und Mehrsprachigkeits-Expertin Katharina van der Veen aus Bremen. In ihrer eigenen Familie werden Niederländisch, Deutsch und Englisch gesprochen.

Es sei aber wichtig, dass sämtliche Sprachen im Alltag relevant bleiben: „In unserer Familiensituation beispielsweise ergibt es Sinn, dass ich in Deutschland mit den Kindern auch Niederländisch spreche, damit die Sprache präsent ist. In den Niederlanden dagegen würde ich mit den Kindern kein Wort Niederländisch sprechen.“

Auch Riehl sagt: „Das ist ein dynamischer Prozess.“ Mal dominiere die eine, mal die andere Sprache, abhängig von der aktuellen Lebenssituation und von den Bezugspersonen, die für das Kind gerade wichtig sind. Auch durch einen längeren Auslandsaufenthalt könne sich die Sprachengewichtung wieder verschieben: „Das ist völlig normal“ - ebenso wie die Tatsache, dass die Kinder die Sprachen in einem frühen Stadium gelegentlich vermischen.

Aber wenn man die Sprachtrennung nach Situationen oder Personen konsequent praktiziere, „dann lernen sie schon ab zwei Jahren, die jeweils zum Gesprächspartner passende Sprache zu verwenden“.

Mythos spätes Sprechenlernen

Und was ist mit der Annahme, dass Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, erst später mit dem Sprechen beginnen? „Das ist ein weit verbreiteter Mythos. Der aktive Wortschatz pro Sprache mag verglichen mit einem einsprachigen Kind zunächst etwas kleiner wirken“, sagt Katharina van der Veen: „Aber es müssen die Sprachkompetenzen sämtlicher Familiensprachen berücksichtigt werden. Das passiert aber leider häufig nicht.“

Mindestens 50 Wörter sollten Kindern rund um den zweiten Geburtstag aktiv nutzen. Und wenn es sehr viel weniger sind? Dann empfiehlt van der Veen einen Besuch beim Kinderarzt: „Möglicherweise gibt es Probleme beim Hören oder mit der Mundmuskulatur. Mehrsprachiges Aufwachsen führt aber nicht dazu, dass Kinder später anfangen zu sprechen.“

Genaue Zahlen, wie viele Kinder in Deutschland mit drei oder mehr Sprachen aufwachsen, liegen nicht vor. „Wir haben nur Daten zum Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Es ist schwierig, daraus Rückschlüsse zu ziehen, welche Sprachen tatsächlich zu Hause gesprochen werden“, sagt Sprachwissenschaftlerin Riehl. Aber dass es eine immer buntere Vielfalt aus Mutter-, Vater-, Großeltern- und Kita- oder Schulsprache gibt, „davon kann man ausgehen“.

Die Rolle der Herkunftssprache in der Schule

Die Sprachen nicht nur sprechen, sondern auch lesen und schreiben zu können - das ist der nächste Meilenstein. „In Deutschland wird die Herkunftssprache leider oft nur als gesprochene Sprache erlernt, weil es in den Schulen zu wenig entsprechenden Unterricht gibt“, sagt Claudia Maria Riehl. Dabei zeigten Studien, dass die Beschäftigung mit der Mutter- oder Vater-Sprache auch die Kompetenzen im Deutschen verbessere: „Man vergleicht die Sprachen, man versteht, wie die Grammatik funktioniert.“ Den vielen unterschiedlichen Herkunftssprachen der Kinder in den Schulen mehr Platz einzuräumen, wäre aus Sicht der Wissenschaftlerin „deshalb absolut wünschenswert“.

Ob Schülerinnen und Schüler entsprechende Angebote wahrnehmen können, hängt allerdings davon ab, in welchem Bundesland sie leben. Bildung ist im Deutschland Ländersache, dazu gehört auch die Frage, ob vonseiten des Staates sogenannter herkunftssprachlicher Unterricht organisiert wird. In der Mehrheit der Bundesländer ist das der Fall, nicht jedoch in allen.

Das größte Angebot gibt es in Nordrhein-Westfalen mit nach Angaben des Ministeriums für Schule und Bildung 30 unterschiedlichen Sprachen, nicht an allen Schulen gleichzeitig, aber beispielsweise in schulübergreifenden Lerngruppen. Keinen staatlichen Unterricht gibt es in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen-Anhalt.

Als Alternative zum staatlichen Angebot wird in einigen Bundesländern von Botschaften und Konsulaten Sprachunterricht veranstaltet, ebenso von Kulturvereinen, beispielsweise in Form von Samstagsschulen. Einer staatlichen Kontrolle unterliegen diese Unterrichtsinhalte nicht.

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(dpa)