„Ich geh' nicht zu ihm zurück“ - Zuflucht im Frauenhaus
Berlin (dpa) - Etwa 20 000 Frauen und fast genauso viele Kinder suchen jedes Jahr Zuflucht in einem der 350 Frauenhäuser bundesweit. Eines davon liegt im Osten von Berlin. Ein Ortstermin.
Eine stille, grüne Wohnstraße führt zum Haus Bora im Osten von Berlin. Friedlich wirkt die Szenerie. Doch bevor sich das solide Gatter in dem übermannshohen Metallzaun öffnet, der den Garten und den Spielplatz umgibt, müssen Besucher in eine Kamera schauen und sich vorstellen. Denn manchmal stehen auch ungebetene Gäste vor dem Frauenhaus - Ex-Partner der Frauen, die hier Zuflucht gesucht haben. Sila ist eine von ihnen. Die 25-Jährige kam weit her aus einer Stadt im Westen Deutschlands. Seit vier Wochen wohnt sie mit ihren beiden kleinen Kindern in einem 16-Quadratmeter-Zimmer und sagt: „Ich geh' nicht zu ihm zurück.“
Silas Geschichte kommt mit wenig Worten aus: Mit 20 lernt die bildhübsche junge Frau mit türkischen Wurzeln ihren späteren Mann kennen, ein Jahr später heiraten die beiden. Eine Ausbildung oder einen festen Job haben sie nicht, dafür aber bald ein erstes Kind. „Seit die Kleine auf der Welt war, hatten wir Eheprobleme“, erzählt Sila, während die quirlige zweijährige Tochter durchs Zimmer turnt. Zwar fand ihr Mann schließlich einen Job, aber die Stimmung daheim wurde nicht besser. „Er kam nach Hause, legte sich aufs Sofa und war für keinen mehr ansprechbar. Er beschwerte sich, weil er arbeiten gehen sollte - für uns. Umgekehrt wollte er aber auch nicht, dass ich arbeite.“
Die Situation schaukelte sich hoch: „Er schlug mich, er vergewaltigte mich auch“, erzählt Sila nach einer Weile. Sie wurde erneut schwanger - der kleine Sohn ist heute vier Monate alt. „Aber auch nach der zweiten Entbindung und vielen Versprechungen von ihm wurde es mit uns nicht besser.“ Und schon vorher war es der jungen Frau elend gegangen: „Ich habe früher viel gelacht, aber jetzt hatte ich Selbstmordgedanken.“ Ihr Mann verbot ihr den Kontakt zu ihren Freundinnen, schnitt ihr Handyaufladekabel durch. Und auch ihre eigene Familie gab Sila keinen Halt. „Meiner Mutter hatte ich alles erzählt. Aber sie sagte bloß immer: Du musst bei ihm bleiben wegen der Kinder.“
Vielen Frauen aus vielen Nationalitäten geht es ähnlich, wenn sie zu Bora flüchten. „Seit zwei Jahren sind wir komplett belegt. Die Nachfragen steigen ständig“, berichtet Hausleiterin Pari Teimoori. 24 Zimmer mit 53 Plätzen bietet das Haus Frauen und Kindern in Krisensituationen. 2013 fanden dort 155 Frauen Unterschlupf, im Durchschnitt blieben sie anderthalb Monate. Ebenso viele mussten abgewiesen werden. „Das Wissen ist größer geworden, die Frauen trauen sich heute eher, Hilfe zu holen“, sagt Teimoori. Etwa 20 000 Frauen und fast genauso viele Kinder suchen laut Paritätischem Wohlfahrtsverband jedes Jahr Zuflucht in einem der 350 Frauenhäuser bundesweit.
In der Europäischen Union hat einer neuen Studie zufolge jede dritte Frau seit ihrer Jugend schon körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Das sind etwa 62 Millionen, wie die EU-Grundrechte-Agentur (FRA) berichtete. Fünf Prozent davon sind vergewaltigt worden.
Als Silas Mann ihr kurz nach der Geburt des zweiten Kindes im Streit ins Gesicht spuckt, ist der Punkt erreicht, an dem Sila Nein sagt - und die Polizei ruft, wie sie berichtet. „Ich war so weich, ich hab mich so oft von ihm überreden lassen und mich immer nach anderen gerichtet“, räumt sie ein. Das will sie nun nicht mehr. Wenn sie in dem kleinen Zimmer - vollgestellt mit wäschebehangenem Babybett und Kinderwagen - im rosa Jogginganzug am Fenster steht, guckt sie nicht nur auf den vorfrühlingshaften Garten. Sondern auch in die Zukunft, die für sie in Berlin liegt. Sie hofft auf eine Wohnung, und eine Ausbildungsstelle als Friseurin: „Ich will jetzt eine starke Frau sein.“
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