Interview: „Wir verabschieden uns vom Alleinernährer“
Fragen an den Berliner Soziologen und Männerforscher Michael Cremers.
Düsseldorf. Sind Jungen schlechtere Schüler?
Cremers: Jungen haben im Durchschnitt deutlich größere Schwierigkeiten als Mädchen. Dies betrifft sowohl die Leistungen und Abschlüsse als auch Disziplinlosigkeit und Unterrichtsstörungen.
Woran liegt das?
Cremers: Jungen stehen anscheinend auch im Schulalltag unter dem Druck, ihre Männlichkeit zu beweisen. Die Gleichaltrigenkultur erwartet von den Jungen, "cool", "witzig" und "faul" zu sein, weshalb Jungen häufiger als Mädchen dem sozial auffallenden Schülertypus entsprechen.
Sind Jungen häufiger krank?
Cremers: Eine ganze Reihe psychischer und psychosomatischer Erkrankungen tritt bei Jungen bis zur Adoleszenz häufiger auf als bei Mädchen. Frei nach dem Motto "Jungen und Männer haben keine Probleme" schätzen die Jungen allerdings ihren subjektiven Gesundheitszustand besser ein als die Mädchen. Hinzu kommt, dass es Jungen (ebenso wie Männern) aufgrund des gesellschaftlich aufgedrückten Männerbildes eher schwer fällt, sich Hilfe zu holen. Es wird ihnen seltener nahe gelegt.
Leiden Jungen darunter, dass Männer so wenig präsent sind?
Cremers: Ich denke, Jungen wie Mädchen würden gerne mehr Zeit mit greifbaren und sozial kompetenten Männern verbringen. Das gilt für den familiären Bereich ebenso wie für den Alltag in der Kindertagesstätte, im Hort und in der Grundschule. In einer 2006 durchgeführten Befragung haben zirka 70 Prozent der Jungen formuliert, dass sie sich einen Beruf wünschen, in dem sie genügend Zeit für den Haushalt und/oder für Kinder haben.
Jungenarbeit hat auch zum Ziel, ein neues Männerbild zu vermitteln. Wovon verabschieden wir uns?