Jugendliche und ihr Coming-Out
Berlin/Köln (dpa/tmn) - Wowi ist es, Anne Will auch: Schwul- oder lesbisch sein ist kein Skandal mehr. Das Outing ist dennoch für viele ein schwerer Schritt. Wichtig dabei ist, seine Sexualität selbstbewusst zu vertreten und sich nicht zu rechtfertigen.
„Ich hab mich lange Zeit selbst dafür gehasst“, sagt Marc Hoffmann*. Das erste Mal bewusst wurde es ihm beim Durchblättern der „Bravo“. Die Bilder der Jungs interessierten ihn mehr als die der Mädchen. Das war in der siebten Klasse, sein Coming-Out hatte er jedoch erst mit 18. „Ich hatte tierisch Angst davor. Das Schwierigste war, mir einzugestehen, dass ich schwul bin“, erzählt er. „Man leugnet das erstmal.“
Fachleute unterscheiden zwischen dem inneren und dem äußeren Coming-out. „„Beim inneren Coming-Out geht es darum, dass sich die Jugendlichen darüber klar werden, dass sie schwul oder lesbisch sind - und sich genauso annehmen“, erklärt Jörg Steinert, Bundesjugendbeauftragter beim Lesben- und Schwulenverband (LSVD) in Berlin. Diesem Prozess gehen in der Regel quälende Selbstzweifel voraus: „Die haben die ganze Palette von Vorurteilen im Kopf“, sagt Sven Norenkemper, Sozialpädagoge und Vorstandsvorsitzender des Vereins Coming Out Day in Köln.
Wie Freunde oder Verwandte auf das Outing reagieren, können schwule oder lesbische Teenager nur schwer einschätzen. „Da gibt es keine Garantie. Es kann auch sein, dass sich die besten Freunde abwenden“, sagt Norenkemper. Ein erster Schritt könne sein, sich einer Coming-Out-Gruppe anzuschließen: „So lernen sie andere Jugendliche kennen und denken nicht 'Ich weiche von der Norm ab'.“
Schwieriger läuft das Outing oft vor den eigenen Eltern ab. Denn deren Bild von Sohn oder Tochter wird damit auf den Kopf gestellt. „Es herrscht die Meinung 'Jeder soll glücklich werden, so wie er ist - bis es den eigenen Sohn betrifft'“, sagt Norenkemper. Auch Marc musste diese Erfahrung machen: Seine Eltern gingen keineswegs so locker mit dem Thema um, wie er gehofft hatte. „In meiner Gefühlswelt ist da sehr viel kaputt gegangen“, sagt der heute 25-Jährige.
Fällt die Reaktion der Eltern nicht aus wie gehofft, sollten Jugendliche ihnen etwas Zeit geben, um sich an die Veränderung zu gewöhnen. „Die Familien haben sozusagen auch ein Coming-Out. Denn auf die Frage 'Hat euer Sohn schon ein Freundin?' müssen sie in Zukunft etwas anderes antworten“, sagt Steinert.
Wer seine Homosexualität öffentlich macht, sieht sich schnell mit vielen Fragen konfrontiert, allen voran dem „Warum?“. „Eine beliebte Frage ist: 'Wie bist du denn schwul oder lesbisch geworden?'“, erzählt Steinert. Er empfehle, gar keine Erklärungen abzugeben. „Keiner muss sich für seine sexuelle Orientierung rechtfertigen. Es reicht, wenn man sagt: Es ist einfach so.“
Sven Norenkemper sieht das Ganze weniger streng: „Man sollte sich auf sein Gefühl verlassen und sich fragen: 'Wie wichtig ist mir die Person?'“. Hat man das Gefühl, beim Gegenüber steckt echtes Interesse dahinter, könne man sich auf ein Gespräch einlassen. Oft stecke hinter banalen Fragen auch keine Abwertung, sondern lediglich Ahnungslosigkeit.
Ein heikler Punkt ist der Moment, in dem Freund oder Freundin vorgestellt werden. Dafür die Familienfeier auszuwählen, ist gar nicht mal die schlechteste Lösung: „Das ist eine gute Gelegenheit, mit einem Mal reinen Tisch zu machen“, sagt Sven Norenkemper. Dazu müsse man aber ein Gespür für die Familiensituation haben: „Wenn abzusehen ist, dass der Konflikt eskalieren könnte, sollte man das natürlich lassen.“
Jörg Steinert rät dazu, das Erscheinen des neuen Partners in jedem Fall vorher anzukündigen. Auch er ist der Ansicht, dass die Begegnung mit dem schwulen Freund oder der lesbischen Freundin viel bewirken kann: „Durch persönliche Begegnungen werden Vorurteile abgebaut. Jemanden, den man kennt, kann man schlechter ablehnen als einen Unbekannten.“
* (Name geändert)