Leeres Nest: Wenn Kinder ausziehen

Eltern müssen sich als Paar neu definieren und Gemeinsamkeiten ausloten.

Heidelberg. Natürlich kommt der Moment nicht plötzlich, sondern kündigt sich an. Trotzdem empfinden es viele Eltern als einschneidendes Ereignis, wenn ihre Kinder das Haus verlassen und sie zu zweit zurückbleiben.

„Das Trennungsrisiko bei Paaren steigt, wenn die Kinder ausziehen“, sagt der Soziologe Ingmar Rapp von der Universität Heidelberg. „Es steigt kurzfristig sogar auf ein höheres Niveau als bei Paaren, die nie Kinder hatten.“

Die Entwicklungspsychologin Insa Fooken von der Universität Siegen hat späte Scheidungen erforscht. Sie sagt: „Schwierig wird es, wenn das Paar keine eigenen Rituale mehr hat.“ Das werde häufig durch die Kinder verdrängt, trete aber später zutage, wenn der Nachwuchs aus dem Haus ist. Deshalb sollten sich Eltern früh überlegen: Was bewahren sie sich als Paar, was als autonome Personen und was als Eltern?

Auch der Familienpsychologe Joachim Lask aus Mühltal rät Paaren dazu, Gemeinsamkeiten zu pflegen. „Der Abnabelungsprozess der Kinder ist eine besondere Herausforderung, wenn man vorher nicht mal Zeit gemeinsam ohne Kinder verbracht hat.“ Diese Herausforderung stellt sich nicht erst mit dem Auszug der Kinder. „Das bahnt sich an, schon in der Pubertät wird der Nachwuchs langsam selbstständig.“

Aber viele Eltern spürten auch die neue Freiheit. „Einige Frauen fangen im Job nochmal völlig neu an, wenn die Kinder aus dem Haus sind.“ Andere besuchen Kurse oder nutzen Freizeitangebote. Das bringt jedoch mitunter Konfliktpotenzial in die Beziehung. Denn nicht selten wünschen sich die Männer insgeheim, dass ihre Frauen endlich wieder mehr Zeit für sie haben. Lask rät: „Jeder muss für sich selbst schauen, wie er glücklich wird, und dann muss man als Paar darüber sprechen.“

„Das Selbstständig-Werden der Kinder passiert ja gleichzeitig mit Prozessen des Älterwerdens“, sagt Fooken. Manchmal komme auch der Übergang von der Arbeitswelt in den Ruhestand hinzu. Sowohl Frauen als auch Männer müssten sich neu im Leben definieren. Statt Familienernährer ist ein Vater dann nur noch Partner. Statt Familienmanagerin eine Mutter nur noch Ehefrau. Nicht zwangsläufig muss das aber zu Problemen führen. „Teilweise bedeutet der Wegzug der Kinder für die Eltern auch einen neuen Start ins Partnerleben.“

Wenn es doch zur Krise kommt, sollte man sie als Chance verstehen, sagt Lask. „Wenn es zu Problemen kommt, ist es gut, wenn die Paare darauf stoßen, damit sie gelöst werden können.“