Lernspiele können Kinder überfordern
Der Nachwuchs braucht Freiräume, um selbst kreativ zu sein.
Suttgart. Ein Spielzeug ist nicht nur zum Spielen da. Es soll auch lehrreich sein. So denken viele Eltern, wie eine Studie der Gesellschaft für angewandte Sozialforschung aus dem Jahr 2008 ergeben hat. Darauf haben die Hersteller reagiert: Immer mehr Spiele werben damit, dass sie Kinder fördern. Die große Auswahl macht viele Eltern ratlos. Und längst nicht alle Pädagogen sind begeistert von den spielerischen Lernhilfen.
Die Hersteller haben den Mehrwert Wissen als Verkaufsargument entdeckt. „Sie nutzen die Unsicherheit der Eltern und bieten etwas an, was die vermeintliche Lücke schließt“, sagt Ingetraud Palm-Walter. Sie ist Vorstand im gemeinnützigen Verein „spiel gut“ in Ulm, der Spielsachen begutachtet. Manches Spiel, das es schon lange gibt, werde heute mit dem Etikett „Lernspiel“ versehen.
Daneben gibt es eine neue Linie: Lernspiele, die gezielt auf Wissen setzen, das Kinder in der Schule benötigen. „Beliebte Lernspielthemen sind Formen und Farben, Zahlen und Mengen, Laute und Buchstaben“, erklärt Wenske. Der „Rechenkönig“ von Haba etwa soll das Zählen und Rechnen bei Kindern ab fünf Jahren fördern. Mit der „frechen Sprech-Hexe“ von Ravensburger sollen Vierjährige „genaues Hören und Sprechen“ lernen und ein besseres Sprachgefühl bekommen. Und „Kasse-Gasse“ von IQ-Spiele ist dafür gedacht, Kindern ab Klasse eins dabei zu helfen, Laute richtig zu unterscheiden.
So ein Spiel kann ein wichtiges Förderinstrument sein. „Wenn Entwicklungsrückstände erkennbar sind, kann man versuchen, diese durch spielerische Förderung auszugleichen. Dafür sind Lernspiele gut geeignet“, urteilt Ulrich Heimlich, Professor für Lernpädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Einiges sehen die Experten aber kritisch. „Wir beobachten mit Besorgnis, dass das Spiel der Kinder immer mehr gelenkt wird, sie konkrete Aufgaben erfüllen müssen und immer weniger Raum für freies Spiel haben“ , erklärt Palm-Walter. Das hat negative Folgen, wie Lernpädagoge Heimlich erklärt: „Kinder brauchen Freiräume, um sich selbst etwas ausdenken zu können.“
Aus Sicht der beiden Experten ist es gar nicht nötig, bei der Wahl von Spielzeug auf den Förderbonus zu achten. Schließlich sei jedes Spiel ein Beitrag zur Entwicklung und zum Lernen. Kosmos-Programmleiterin Wenske ergänzt: „Eltern sollten nie vergessen, dass ein Spiel Freude und Spaß verbreiten soll und nicht als Nachhilfeersatz konzipiert ist.“
Für die Eltern heißt das: Sie müssen fördern, ohne zu überfordern, Angebote machen, ohne etwas zu erzwingen. „Wenn ein Lernspiel im Regal steht und das Kind danach greift — prima“, sagt Heimlich. Aber es müsse immer Alternativen geben: zum Beispiel ein klassisches Brettspiel, das neben einem Lernspiel im Regal steht.