Mama, was ist Sex? - Eltern müssen ehrlich antworten

Hamburg (dpa/tmn) - Die halbnackte Frau in der Werbung oder das schwule Pärchen in der Soap: Kinder werden heute früh mit sexuellen Reizen konfrontiert. Zu früh, meinen einige Forscher. Umso wichtiger ist es, dass Eltern das Thema Sex nicht verschweigen.

Hautenge T-Shirts, Röhrenjeans oder Minirock und hohe Stiefel - schon kleine Mädchen können sich heute sexy wie erwachsene Frauen anziehen. Auch für Jungs gibt es enge, moderne Jeans und Hemden, die schon aus Dreijährigen Machos oder coole „Checker“ machen. „Wir beobachten das Phänomen, dass Kinder angezogen werden wie Erwachsene“, sagt die Sexualpädagogin Kathrin Hettler von pro familia in Mannheim. Vor allem US-amerikanische Psychologen schlagen deshalb Alarm: Kinder würden zu früh mit sexuellen Botschaften konfrontiert.

So schreiben Diane K. Levin und Jean Kilbourne in ihrem Buch „So sexy so soon“, dass die ständige Berieselung mit sexuellen Inhalten das Verhalten von Kindern verändere. Sie lernten früh - zu früh - dass ihr Status in der Gesellschaft davon abhängig sei, welche sexuellen Reize sie hätten. Hierzulande wird die Problematik weniger dramatisch gesehen. Zwar habe sich die offensichtliche Sexualisierung der Gesellschaft und auch der Kindheit vor allem durch die Medien verstärkt, sagt Hettler. Aber wenn Eltern darauf angemessen reagierten, wüssten Kinder damit umzugehen. „Wichtig ist es für Eltern, nicht sprachlos zu bleiben.“

Das meint auch die Hamburger Sexualwissenschaftlerin vom Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Eppendorf, Silja Matthiesen. „Wenn Kinder fragen, warum liegt denn der Mann auf der Frau, dann ist das nicht automatisch schlecht“, sagt sie. Kinder müssten vor allem ungezwungen an das Thema herangeführt werden und lernen, dass Körperlichkeit und Sexualität etwas Normales, Schönes und ganz Natürliches sind. „Sexualaufklärung sollte fortlaufend passieren“, sagt Matthiesen.

„Wenn Eltern hier sprachlos bleiben, holen sich die Kinder die Informationen woanders“, sagt pro familia-Beraterin Hettler. Dann kann es nach Meinung von Experten dazu kommen, dass Kinder „falsche“ Antworten erhalten und sich eine unsichere Haltung zum Thema Sexualität entwickelt. Dabei dürfe man das kindliche Interesse und Spiel aber nicht mit der eigenen Sexualität verwechseln. „Wenn Kinder sich die Lippen rot anmalen oder das Kleid und die hochhackigen Schuhe von Mama anziehen, wollen sie einfach nur die Erwachsenen imitieren“, sagt Doris Eberhardt vom Dortmunder Institut für Sexualpädagogik.

Diese Rollenspiele seien vom erwachsenen Bild der Sexualität weit entfernt und nicht vergleichbar. Deshalb müssten Eltern nicht rigide oder gar ablehnend darauf reagieren, sagt Eberhardts Institutskollege Michael Hummert. „Die Mädchen und Jungen müssen ja auch lernen, wie sie wirken“, sagt der Sexualpädagoge. „Es ist nicht nötig, sich Sorgen zu machen, wenn Kinder verschiedene Geschlechtsrollen imitieren und mit entsprechender Kleidung und Schminke experimentieren.“

Und wie ist das mit härteren sexuellen Botschaften, beispielsweise mit Pornografie? Die heutige Jugend sei die „Generation Porno“, heißt es. Aber was bedeutet das für die Jugendlichen, und wie sollen Eltern darauf reagieren? „Bei Pornografie ist der wichtigste Erwachsenenkommentar: Das ist nicht Sex, das ist Porno“, sagt Sexualwissenschaftlerin Matthiesen. Viele Jugendliche wüssten das aber ohnehin zu unterscheiden. Außerdem deuteten Studien darauf hin, dass Jugendliche heutzutage gar nicht freizügiger seien oder früher Sex hätten. „Das Alter beim ersten Geschlechtsverkehr ist seit zehn Jahren recht stabil, das zeigen beispielsweise die Jugendstudien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.“

Literatur:

Levin, Diane E./Kilbourne, Jean: So sexy so soon. The new sexualized childhood and what parents can do to protect their kids, Ballantine Books, Juli 2009, 10,99 Euro, ISBN-13: 978-0345505071