Neues Betreuungskonzept für Demenzkranke
Halle (dpa) - Die Franckeschen Stiftungen in Halle gehen neue Wege bei der Betreuung von Menschen mit Demenz. Kinder der Montessorischule bewirken dabei manchmal kleine Wunder.
Ganz zufrieden ist Ilse Krippendorf mit ihrer Arbeit nicht. „Das ist ein bisschen eckig“, sagt die 85-Jährige und zeigt der kleinen Lena neben sich die Blume, die sie aus Buntpapier ganz konzentriert mit einer Schere gefertigt hat. „Ich finde das aber gerade schön, so sieht nicht alles gleich aus“, erwidert die Zehnjährige - und strahlt die Rentnerin so vertraut an, als wäre sie ihre Großmutter. Doch die Seniorin, die in den Franckeschen Stiftungen mit Kindern der Montessori-Schule gemeinsam eine Wand zum Thema Frühling gestaltet, wohnt im Haus der Generationen.
Hier leben 60 Menschen. Davon sind laut Hausleitung 47 in ihrem alltäglichen Leben eingeschränkt, 90 Prozent von ihnen sind an Demenz erkrankt. Rund 35 Beschäftigte kümmern sich um die Frauen und Männer, die hier in eigenen Räumen mit gemeinsamen wohnlichen Küchen leben. Die kleine Annabell findet es wie ihre Freundin schön bei den Rentnern zu sein, „weil ich wissen will, wie sie gelebt haben, denn ich kann mir das nicht so richtig vorstellen“, sagt die Schülerin, die regelmäßig montags mit den Senioren unter fachlicher Aufsicht zusammen ist. Sie findet auch Spaß daran, mit ihnen Plätzchen zu backen, Wissenstests zu lösen oder zu singen.
Das Haus, das zur Paul Riebeck Stiftung (Halle) gehört, wurde als bundesweites Modellprojekt der Initiative „Land der Ideen“ ausgezeichnet. Das Konzept zielt darauf ab, dass die Generationen wie in einer Großfamilie füreinander da sind und sich verantwortlich fühlen. Inmitten des kulturellen und sozialen Lebens der Schulstadt sollen sich alle im Alltag begegnen, miteinander lernen und sich gegenseitig unterstützen.
„Wir sind hier kein betreutes Wohnen, aber auch kein klassisches Seniorenheim, die Atmosphäre hat schon privaten Charakter, wie in einer Gemeinde, und wir beziehen auch die Angehörigen mit ein“, sagt Heim- und Pflegedienstleiter René Conrad. „Das Haus heißt nicht nur so, hier passiert auch was.“ Aber eines dürfe man auch nicht vergessen: „Es ist für Angehörige nicht leicht, damit fertig zu werden, die Mutter, den Vater oder gar den an Demenz erkrankten Ehepartner 'abgeliefert' zu haben, weil man die Betreuung zu Hause einfach nicht mehr gewährleisten kann“, sagt Conrad und blickt auf den gemeinsamen Innenhof, wo Kinder der Montessori-Schule spielen und Senioren im Rollstuhl das fröhliche Treiben miterleben können - wenn sie es wollen.
Laut Bundesfamilienministerium leben in Deutschland derzeit 1,2 Millionen Menschen mit Demenz. Allein zwei Drittel davon sind von der bisher unheilbaren Alzheimer-Krankheit betroffen. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass es bis 2020 etwa 1,4 Millionen und bis 2050 rund 2 Millionen Demenzkranke geben wird. Vor allem im Osten wird die Zahl bis 2025 massiv steigen. Die Gründe sind die Abwanderung junger Leute und eine deutlich älter werdende Gesellschaft, wie das Berliner Institut für Bevölkerung und Entwicklung in seinem jüngsten Demenz-Report berichtet. Laut Ministerium werden zwei Drittel der Demenzkranken in Familien versorgt und betreut.
Der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, Bernd Meurer, warnt zugleich vor einem Pflegenotstand. „Die Situation ist zum Teil jetzt schon dramatisch, weil die Einrichtungen keine Fachkräfte mehr finden.“ Demenzkranke brauchen eine besonders intensive Betreuung. „Wir müssen rasch handeln und haben keine Zeit, jahrelang auf Verbesserungen zu warten“, sagte Meurer.
„Das ist hier schon was Besonderes, dadurch dass wir so nah beieinander sind, das Haus, die Schule, der Hort, da gibt es keine Berührungsängste“, sagt die Hortnerin Gabriele Volk. „Die Kinder lernen hier auch, ein Verständnis für das Alter, für Gebrechlichkeit, zu entwickeln, Berührungsängste abzubauen“, pflichtet ihr Ergotherapeuth Andy Kotsch bei. Die Montessori-Erzieherin schiebt dabei dem Rentner mit dem Rauschebart, der scheinbar in eine andere Welt versunken in der Runde sitzt, die von der achtjährigen Annabell gemalten Blumen über den Tisch. Nur kurz schaut er auf.
„Manchmal ist schon ein Lächeln ein Erfolg“, weiß Kotsch von seinen Erfahrungen mit Demenzkranken zu berichten. „Die meisten Leute schieben das Thema Demenz aber von sich weg, wenn es sie nicht selbst in der Familie betrifft“, sagt der 30-Jährige.