Noch nie so viele uneheliche Kinder geboren
Wiesbaden (dpa) - Familie ohne Trauschein liegt im Trend: Die meisten Babys in Deutschland haben zwar Eltern, die (miteinander) verheiratet sind, es werden aber immer weniger. Im Osten sind sie in der Minderheit.
In Deutschland sind noch nie so viele Kinder unehelich zur Welt gekommen wie 2010. Jedes dritte Neugeborene hatte Eltern ohne Trauschein - insgesamt waren das rund 225 000 Jungen und Mädchen. Der Anteil unehelicher Babys an allen Säuglingen hat sich in den vergangenen 20 Jahren damit mehr als verdoppelt. Im Vergleich zum Vorjahr war das Plus allerdings nur noch gering (0,5 Prozentpunkte), wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Freitag (12. August) mitteilte. Es gibt nach wie vor erhebliche Unterschiede zwischen Ost und West.
Mehr als 60 Prozent der Babys in den neuen Bundesländern haben Eltern, die nicht verheiratet sind. In den alten Ländern kam nur gut jedes vierte Kind (27 Prozent) unehelich zur Welt. Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern liegen an der Spitze (je 64 Prozent) der seit der Wiedervereinigung geführten Statistik. In Baden-Württemberg sind am wenigsten frisch gebackene Eltern unverheiratet (22,1 Prozent der Neugeborenen).
Viele Paare geben sich nach der Geburt des ersten Kindes doch noch irgendwann das Jawort. So kamen 43 Prozent der Erstgeborenen 2010 unehelich zur Welt, bei Geschwisterkindern war der Anteil geringer. Allerdings war auch fast jede vierte Mutter bei der Geburt ihres vierten Kindes ledig. Wie viele unverheiratete Eltern sich doch für den Gang zum Standesamt entscheiden, erfassen die Statistiker nicht.
Es kommen aber mehr Paare mit gemeinsamen Kindern zum Standesamt, um sich trauen zu lassen als früher. Der Anteil dieser Hochzeiten ist zwischen 1991 und 2010 von 8 auf 20 Prozent gestiegen. Vor allem seit der Reform des Kindschaftsrechts 1998, mit der die rechtliche Position nichtehelicher Kinder besser wurde, lassen sich Schwangere und ihre Partner mit dem Heiraten Zeit oder verzichten ganz auf den Trauschein.
„Heiraten ist freiwilliger geworden“, sagte Renate Reddemann, Geschäftsführerin und Beraterin von Pro Familia im hessischen Marburg. „Schwangerschaft, Hochzeit, Haus bauen - wir warnen sogar davor, gleich alles auf einmal zu machen, weil das zu viel Stress ist. Wir raten dazu, kleine Schritte zu gehen.“
Gemeinsames Sorge- und Umgangsrecht seien inzwischen die Regel und damit nicht mehr der Grund für eine Ehe, sagte Reddemann. Auch um eine Wohnung zu finden, müssten werdende Eltern heute nicht mehr verheiratet sein. „Früher ging das ja ohne Mann gar nicht. Alleinerziehende hatten es schwer.“
Familien sind bunter geworden: Ehepaare mit unterschiedlichen Nachnamen, Patchworkfamilien und eingetragene (Homo-)Partnerschaften. „Man kann als Paar - unverheiratet oder verheiratet - zusammenleben, man kann in einer Wohngemeinschaft wohnen, in einer Großfamilie oder alleinerziehend sein. Wir sind eine sehr demokratische Gesellschaft geworden“, sagte Reddemann, die werdende Eltern berät.
Was bei einer Entscheidung für eine Hochzeit oft eine Rolle spiele, sei die Steuer. „Das ist der Punkt, der meist vom Mann eingebracht wird.“ Wenn sich Paare nach der Geburt ihres ersten Kindes das Jawort geben, gehe es oft um Steuererleichterungen. „Je mehr Kinder, desto eher wird geheiratet.“
In ländlicheren Regionen ist Heiraten nach Einschätzung Reddemanns nach wie vor selbstverständlicher als in der Stadt. Paare lebten dort häufig im oder neben dem Haus der Eltern beziehungsweise Schwiegereltern. Nur noch selten sei die Religion bei der Eheschließung entscheidend. „Bei Muslimen spielt sie eine große Rolle, sonst nicht.“