Schmettern mit 60: Übung erhält die Stimme

Hamburg/Frankfurt/Main (dpa/tmn) - Sie knarzt, wird rauher oder bleibt manchmal ganz weg: Die Stimme altert genauso wie der übrige Körper. Zum Singen ist sie aber auch noch mit 60 Jahren zu gebrauchen.

Und wer regelmäßig schmettert, hält dabei Muskulatur und Geist fit.

Den Solopart aus „Aida“ wird sie wahrscheinlich nicht mehr singen. Und die Proben können ziemlich anstrengend sein. Trotzdem fährt Inge S. jede Woche für zweieinhalb Stunden zu ihrem Chor nach Frankfurt. In der internationalen Gruppe finden sich mehr als zehn Nationalitäten zusammen, mehr als die Hälfte der Mitglieder ist zwischen 40 und 60 Jahren alt. „Ich singe schon seit der Schulzeit“, erzählt die 67-Jährige. Was das Singen für sie bedeutet? „Entspannung und Abschalten vom Alltag.“

Egal ob mit 50 oder mit 70 Jahren: Singen ist eine Fähigkeit, die auch noch in hohem Alter erlernt werden kann. Zudem profitieren Gedächtnis und Gehör älterer Sänger vom Tontraining, sind sich Experten für Gesang und Stimmbildung einig. „Wer sich den Klang der Stimme vorstellt, hält sich geistig fit. Denn das Gehirn macht die Musik“, sagt Elisabeth Bengtson-Opitz. Die 65-Jährige singt selbst seit ihrem dritten Lebensjahr und unterrichtete lange Zeit Gesangsmethodik an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater. Seit den späten 1990er Jahren beschäftigt sie sich mit dem Thema „alternde Stimme“.

Ganz von selbst entstehen schöne Töne nämlich nicht. Denn die Stimme ist ebenso wie der Körper einem Alterungsprozess unterworfen. „Erst mal hat man als 55-Jähriger weniger Luft zur Verfügung als mit 25 Jahren“, erklärt Bengtson-Opitz. Ältere Sänger können die Töne weniger lange halten oder haben Schwierigkeiten mit der Höhe. Frauenstimmen können zudem sehr schrill werden oder „leiern“. Schuld daran ist vor allem die erschlaffte Muskulatur zwischen den Rippen, im Rücken und im Bauch.

Ein dröhnender Bass oder ein klarer Sopran müssen deshalb aber nicht unerreichbar sein. Gegen die erschlaffte Muskulatur hilft gezieltes Training im Fitnessstudio, gegen die Tonpatzer in erster Linie viel Üben mit einem erfahrenen Chorleiter.

Zu diesen gehört zum Beispiel Claudia Rübben-Laux. Sie ist stellvertretende Landeschorleiterin im Chorverband Nordrhein-Westfalen. Außerdem betreut sie als Stimmbildnerin die „German Silver Singers“, ein Chor, bei dem Mitglieder mindestens 66 Jahre alt sein müssen. „Gewohnheiten sind wichtig. Die Abstände zwischen den Proben sollten klein sein, neue Stücke müssen häufig wiederholt werden“, erläutert sie das Prinzip. Bei der Stückauswahl seien viele Ältere neuen, modernen Fassungen weniger aufgeschlossen.

Viel sei aber auch davon abhängig, wie man die Lieder vermittelt: „Am besten werden die Stücke in einen Sinnzusammenhang gestellt. Man kann den Komponisten beschreiben und sich gemeinsam mit den Sängern den Text anschauen“, erklärt Rübben-Laux. Oft passiere dabei Erstaunliches: „Viele Senioren finden in diesen Momenten Anknüpfungspunkte zu ihrer eigenen Biografie.“

Das Singen hält für viele Ältere Aspekte bereit, die über das Musische hinausgehen. „Es bedeutet Anschluss an eine Gruppe. Es macht den Kopf frei und hilft, Leid und Trauer zu überwinden“, sagt Rübben-Laux. Dem stimmt Gesangstrainerin Bengtson-Optiz zu: „Singen beglückt die Menschen.“

Trotz der positiven Aspekte des Singens trauen sich einige Ältere in dieser Hinsicht wenig zu. „Es gibt viele, die glauben, dass sie nicht singen können“, erzählt Bengtson-Opitz. Ihrer Erfahrung nach sei das aber ein Trugschluss. Jeder könne singen lernen, „auch die Brummenden.“ An schiefen Tönen oder einem verpassten Einsatz sei häufig auch kein mangelndes Talent Schuld, sondern ein schlechtes Gehör. „Das sollte in jedem Fall vom Arzt überprüft werden. Hören Sänger die Obertöne nicht mehr, klingt die Stimme grummelig.“ Mit einem gut eingestellten Hörgerät sei dieses Manko aber leicht zu beheben.

Die körperlichen Einschränkungen einmal beiseite gelassen, punkten ältere Sänger vor allem mit einem: ihrer Erfahrung. „Bei klassischen Stücken wird das besonders deutlich, denn die haben viele schon x-mal gesungen“, sagt Bengtson-Opitz. Gesangspädagogin Rübben-Laux beobachtet Ähnliches: „Die Sänger haben schon viel in ihrem Leben hinter sich. Die können sich richtig gehen lassen.“

Ist das Ziel der Chorproben ein Auftritt vor Publikum, wirkt das auf Ältere als zusätzliche Motivation: „Sie zeigen, was sie können - vor allem den Jüngeren wie Kindern oder Enkeln“, sagt Rübben-Laux.

Einsatzbereit ist die Stimme im Alter also fast uneingeschränkt. Sie darf nur nicht einrosten. Ein klein wenig vor sich hinzusingen, hilft dabei schon: „Wer regelmäßig seine Stimme benutzt, kann sie sich bis zum letzten Seufzer erhalten“, sagt Bengtson-Opitz.

Literatur:

Elisabeth Bengtson-Opitz: Anti-Aging für die Stimme, Timon Verlag, 144 Seiten, 18 Euro, ISBN-13: 9783938335208