Grenzenlose Belästigung Stalking macht das Leben zur Hölle

Berlin (dpa) - Bei Roland Weber melden sich Frauen, die gleich doppelt verzweifelt sind: Über den Psychoterror eines Stalkers, aber auch über die Berliner Justiz.

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Wochen oder Monate brauche diese nach der Anzeige eines Peinigers bei der Polizei für die Bearbeitung des Falls, sagt Weber als Opferbeauftragter der Senatsjustizverwaltung. „Dadurch fühlen sich viele Stalker geradezu ermutigt.“

Seit 2012 unterstützt der Rechtsanwalt Opfer von Straftaten - vor allem nach Gewalt. Um Stalking geht es bei ihm eher selten. Aber wenn, sind es krasse Fälle. Denn auch zehn Jahre nach der Verankerung des Nachstellungs-Paragrafen im Strafgesetzbuch und dessen jüngster Reform findet nicht jedes Stalking-Opfer schnell Hilfe.

Furchterregende Fälle hatten zuletzt Schlagzeilen gemacht: Im Herbst 2016 etwa wurde bekannt, dass der Berliner Piraten-Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner einen Bekannten anderthalb Jahre lang gestalkt und dann umgebracht hatte, bevor er sich selbst das Leben nahm. Doch auch abseits prominenter Namen ist Stalking ein Problem.

„Über das Thema Stalking wird generell, abgesehen von Prominentenstalking, zu wenig gesprochen, die wenigsten wissen, welche Ausmaße das hat“, sagte zum Beispiel die Bloggerin Mary Scherpe, die nach eigenen Angaben von ihrem Ex-Freund gestalkt wurde, bereits 2014. In ihrem Blog schrieb sie, ihre Anzeige wegen Stalkings sei eingestellt worden: „Es lag an mir: Ich war kein gutes Opfer.“ Sie habe weder Job noch Wohnort gewechselt - und somit damals rechtlich nicht die Voraussetzungen erfüllt.

Fast 20 000 Strafverfahren hat es nach den jüngsten Zahlen für 2015 in Deutschland wegen Stalkings gegeben. Die Zahl der Verurteilungen aber lag weit darunter. „Häufig wurde Stalking gar nicht erst angeklagt oder die Verfahren wurden wegen Geringfügigkeit wieder eingestellt“, sagt der Opferbeauftragte Weber für Berlin.

Auch gibt es in der Bundesrepublik bisher keine Klinik für hartnäckige Stalker. Viele gelten als psychisch krank. „Bei uns gibt es höchstens eine Sicherungsverwahrung. Das meinen wir aber nicht“, sagt Ortiz-Müller, Leiter der Berliner Beratungsstelle Stop-Stalkingund Psychologischer Psychotherapeut. „Es geht um Täter, für die im ambulanten Rahmen die Zeit zwischen zwei Behandlungsgesprächen zu lang ist - weil sie zwischendurch in ihre Impulskontrollstörung zurückfallen.“ Zumeist gehe es um das Ende einer Liebe und Trennungen, die Menschen nicht verwinden könnten. Die Berliner Beratungsstelle ist neben Bremen, Mannheim und Landau in der Pfalz eine von nur vier bundesweit.

Diese Fälle kennt auch der Opferbeauftragte Weber. „Viele enttäuschte Typen hören nach wenigen Wochen mit dem Stalken auf“, berichtet er. „Das Problem sind die, die immer weitermachen.“ Rund 80 Prozent der Opfer sind laut Weißem Ring Frauen.

Hoffnung ruht auf dem jüngst geänderten Nachstellungsparagrafen im Strafgesetzbuch. Danach müssen Betroffene nicht mehr mit Umzügen oder Jobwechseln nachweisen, wie sehr Stalking ihren Alltag beeinträchtigt. „Nun wird mehr das Tatverhalten und die Tat selbst bestraft, unabhängig von der Reaktion des betroffenen Menschen“, erläutert Ortiz-Müller. Wie sich das auswirke, müsse aber erst die Praxis zeigen.

Pro Jahr kommen bisher rund 500 Menschen, die sich massiv durch Nachstellungen belästigt fühlen, in die Berliner Beratungsstelle. Treffen kann es jeden. Menschen, die anderen ganz klar signalisieren, dass sie keinen Kontakt mehr wünschen. Und auch solche, die am Ende von Liebebeziehungen im Zwiespalt bleiben, Mitleid mit dem verlassenen Partner empfinden oder auch Schuldgefühle - und denen es schwerfällt, einfach zur Polizei zu gehen.

„Viele Betroffene sind zermürbt und verängstigt, können sich schwer konzentrieren und müssen immer wieder an ihren Stalker denken“, berichtet Therapeut Ortiz-Müller. Was sie bei der Beratung lernen sollen, ist ein Gefühl für innere Sicherheit wiederzugewinnen und sich stalkingfreie Räume zu schaffen. In ganz extremen Fällen ziehen Betroffene sogar ins Ausland.

Die Therapeuten bei Stop-Stalking bieten aber auch Tätern ihre Dienste an. Bis zu 130 suchen jedes Jahr Hilfe. Rund die Hälfte hat keine Auflagen von Polizei und Justiz bekommen, sondern kommt aus eigenem Antrieb. Denn es ist ein Irrglaube, dass alle Stalker Freude beim Tyrannisieren empfinden. Oft ist es Wut und Hass.

Knapp 40 Prozent der Menschen, die sich in Berlin als Stalker zu erkennen geben, sind dabei Frauen. „Vielleicht entwickeln Täterinnen ein höheres Problembewusstsein“, mutmaßt Ortiz-Müller. Weil sie für sich merkten, dass Stalking sie nicht glücklich macht. Es gebe aber auch Menschen, bei denen nichts zu greifen scheint, meint er: „Manche müssen vielleicht weggesperrt werden.“

Am Dienstag (4. April) tagt in Berlin die größte Stalkingkonferenz seit 2005. Erfahrungen aus Psychologie, Psychiatrie und sozialer Arbeit sowie von Polizei und Gerichten sollen hier verzahnt werden.