Altersarmut - ein Sprengsatz mit Zeitzünder

Berlin (dpa) - Der Warnschuss zum Thema Altersarmut kommt aus Wiesbaden. Nach neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der auf „Stütze“ angewiesenen Senioren weiter gewachsen. Vor allem betroffen sind Frauen im Westen.

Wie bedrohlich ist die Entwicklung?

Das Existenzminimum in Deutschland liegt derzeit bei 727 Euro im Monat. Brutto. Wer mit weniger auskommen muss, ist arm dran, hat Anspruch auf staatliche Unterstützung. Für über 65-Jährige ist das die Grundsicherung im Alter. Knapp 465 000 Menschen waren das zuletzt, knapp 30 000 mehr als im Jahr davor.

Der Anteil der bedürftigen Ruheständler erhöhte sich damit binnen Jahresfrist von 2,5 auf 2,7 Prozent. Etwa ein knappes Drittel dieser Betroffenen bekommt überhaupt keine Rente: Weil sie - etwa als Solo-Selbstständige - nie Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt haben.

Jede zweite Rente in Deutschland liegt derzeit unter 700 Euro - also unter dem Niveau der Grundsicherung. Bei den Neurentnern sind es 54,9 Prozent. Vor zehn Jahren galt dies aber für noch mehr, nämlich für 56,9 Prozent.

Alarmiert von den neuen Zahlen der Statistiker zeigten sich Linkspartei, Gewerkschaften, und Sozialverbände. Sie warnen vor einem „Renten-Drama“, einem „gesellschaftspolitischen Skandal“ oder einer „besorgniserregenden Entwicklung“. Um eine „drastische Zunahme“ von Altersarmut zu vermeiden, fordern sie unisono die künftige Regierung zum Gegensteuern auf.

Im derzeit CDU-geführten Bundesarbeitsministerium, das vielleicht eine neue Leitung bekommt, sieht man durchaus das Problem, warnt aber vor Panikmache: „97,3 Prozent der Senioren kommen mit eigenem Einkommen über die Runden“, sagt Ministeriumssprecher Jens Flosdorff. „Sorgen muss man sich nicht um die jetzigen Rentner, sondern um jene, die in 20 oder 30 Jahren in Rente gehen.“ Deshalb müssten sich Union und SPD jetzt auf Lösungen verständigen.

Trotz vieler Niedrigrenten ist die Lage der Ruheständler - aufs Ganze gesehen - aber besser, als der Anschein vermuten lässt. Denn vielfach kommen andere Einkünfte zur Rente hinzu: das Einkommen des Partners, eine eigene Betriebsrente, Zahlungen einer Lebensversicherung, eine Riester-Rente, eine Beamtenpension, bei Witwen auch eine Hinterbliebenenrente.

Im Bundesschnitt macht die gesetzliche Rente nur 64 Prozent der gesamten Alterseinkünfte aus: Bei Männern im Westen sind es 54 Prozent, im Osten aber 88 Prozent.

Ein Blick in den letzten Alterssicherungsbericht der Bundesregierung zeigt für Ehepaare und Alleinstehende über 65 Jahren im Schnitt ein Haushaltsnettoeinkommen von 1818 Euro monatlich. Bei Ehepaaren liegt es bei 2433 Euro, bei allein stehenden Männern bei 1560 Euro und bei allein stehenden Frauen mit 1292 Euro zwar deutlich niedriger, aber doch über dem Existenzminimum.

Viele Rentner verdienen sich auch im Ruhestand noch Geld dazu. So zählte die Bundesagentur für Arbeit im Herbst vergangenen Jahres gut 812 000 Minijobber über 65 Jahren. Ende 2003 gingen lediglich knapp 600 000 Senioren einem Minijob nach. Für die Kritiker zeigt diese Entwicklung, dass die Altersarmut - trotz aller offizieller Beschönigungsversuche - weiter wächst und weiter wachsen wird.

Die Voraussetzungen dafür sind gegeben: Wegen gebrochener Erwerbsbiografien, Zeiten von Arbeitslosigkeit oder prekärer Beschäftigung könnten mehr Bürger auf eine Niedrigrente zusteuern als bisher. Erst recht jene, die nicht durch Betriebs- oder Privatrente die Rentenlücke ausgleichen können. Hinzu kommt, dass das Rentenniveau aus Demografiegründen und zur Dämpfung von Beitragssteigerungen sinkt - sofern die Politik nicht eingreift.