Digital, aber gemütlich - Geschäfte ringen um Online-Shopper
Berlin (dpa) - Wer zum Einkaufen noch das Haus verlässt, ist ziemlich von gestern. Das macht Oliver Samwer glauben. „Geschäfte sind Mittelalter“, stichelt der Investor, der den Online-Händler Zalando groß gemacht hat.
„Sie wurden gebaut, weil es kein Internet gab.“
Bei dieser Provokation zuckte die Branche vor einem Jahr zusammen. Inzwischen wird aber deutlich: Viele Kunden wollen immer noch im Laden einkaufen - die Geschäfte dürfen nur nicht nach Mittelalter aussehen.
Lange weiße Regale, Neonlicht, möglichst viel Ware und wenige Verkäufer - solche Läden werden Kunden künftig seltener finden, meinen Fachleute. Der Handel müsse investieren. Der Druck ist gewaltig, wie der Kölner Handelsforscher Kai Hudetz berichtet. Jeder Fünfte komme seltener zum Einkaufen in die Innenstädte, weil er sich online eindecke.
„Die Frage von Händlern ist immer: Herr Hudetz, Herr Hudetz, wann hört das endlich auf mit dem Online-Handel?“ Antwort: Jeder zehnte Euro werde online ausgegeben, in wenigen Jahren kann es jeder vierte sein. „Da ist noch jede Menge Eisberg unter Wasser.“ Klingt, als seien die deutschen Einkaufsstraßen die Titanic. Doch der Chef des Instituts für Handelsforschung kann ein wenig beruhigen: „Samwer hat Unrecht.“ Der Kunde sei komplizierter.
Ein Beispiel sind die zunehmend genutzten Möglichkeiten, online bestellte Kleidung im Laden abzuholen. „Das ist eigentlich das Schlechteste aus zwei Welten“, wundert sich Hudetz. Man probiert die neue Jacke nicht an, weil man online bestellt, und fährt dann doch in den Laden, um sie abzuholen.
Reine Online-Shopper gebe es nur wenige. Die Mehrzahl der Deutschen seien „selektive Online-Shopper“. Ihre wichtigsten Wünsche: Online prüfen, in welcher Filiale die begehrte Jeans oder der Fernseher vorrätig ist, und kostenfreies WLAN im Geschäft - da gilt Deutschland noch als Entwicklungsland. Zu groß die Sorge, dass die Kunden via Smartphone bei der Konkurrenz kaufen, wenn es dort billiger ist.
Wie der Laden der Zukunft aussieht? Viele Inhaber und Designer scheinen verunsichert. Helle und großzügige Räume, weniger Ware in den Regalen, dafür besser ausgeleuchtet, immer neue Aktionsflächen - klar, diese Kniffe kennen Kunden schon lange. Unvermeidlich auch die Heilssuche in mehr „Info-Displays“, die aber bitte nicht daher kommen wie das Fliesenschneider-Video im Baumarkt. Einer bringt es auf dem Punkt: „Aktuell stochern alle im Nebel.“
Einen Schlüssel jedenfalls haben sie gefunden, und der hat nicht so viel mit Technik zu tun: Erlebnis und Beratung. Anfassen, riechen, probieren - das geht online nicht. Gemütliche Sofas und Sitzecken gibt es längst nicht mehr nur in der Buchhandlung. Immer mehr Händler wollen aus ihrem Laden ein zweites Wohnzimmer für die Kunden machen.
Das Münchner Vorzeigehaus des Möbelherstellers Kare lädt Kunden sonntags zum „Probewohnen“ - ein schönes Wort für Schautag. Verkauft werden darf sonntags nichts. Aber via QR-Code können Kunden den Sessel oder das Sofa der Wahl im rund-um-die Uhr geöffneten Kare-Webshop bestellen. So sind online und offline verknüpft.
Jeder dritte stationäre Händler verkauft laut Handelsverband Deutschland inzwischen auch im Internet. Auch ursprüngliche Online-Händler eröffnen stationäre Läden - vom Elektronikhändler Cyberport bis zum Müsli-Mixer Mymuesli.de. „Die Mauer zwischen On- und Offline bröckelt“, sagt Markus Dünkelmann aus dem Vorstand des Netzwerks Ladenbau. Viele Ladenbauer hoffen, mit Bildschirmen und Touchpads an Ladenregal und Gang an der Verknüpfung zu verdienen.
Kunden im Bonner Bau- und Einrichtungsmarkt Knauber können per Videobrille in das Schrankbaustudio einer anderen Filiale sehen, wo sich ein Verkäufer zuschaltet, bald auch mit Gestensteuerung, wie Geschäftsführer Nektarios Bakakis ankündigt. Ein paar Schritt weiter projiziert ein Beamer Farb- und Tapetenmuster auf Wände - damit es zu Hause keine böse Überraschung gibt.
Doch nicht alle Händler können es sich so etwas leisten. Viele werden in die Knie gehen. Der Handelsverband Deutschland fürchtet in den nächsten fünf bis sechs Jahren um jeden zehnten der bundesweit 500 000 Läden - vor allem jenseits der guten Innenstadtlagen und der Metropolen.