Anfassen erwünscht - Die Berührerin

Berlin (dpa) - Jeder ist mit jedem vernetzt, aber wer fasst sich eigentlich noch an? Manchmal nicht mal mehr die, die in Beziehungen miteinander leben. Wem Nähe fehlt, der kann zur Berührerin gehen.

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„Wenn wir alle ein Fell hätten - würden wir uns dann mehr streicheln?“ Mit dieser Frage wirbt Milka Reich in ihrer Anzeige für das, was sie anbietet: Berührungen. Reich, die eigentlich anders heißt, fasst Leute gegen Geld an. Sie streichelt und massiert sie in ihrem Studio in Berlin-Kreuzberg, zwei Stunden kosten 150 Euro. Seit mehr als zehn Jahren macht die 49-Jährige das. Zu ihr kommen Alte oder Familienväter, Behinderte oder Frauen, gebundene oder ungebundene Menschen. „Es ist uns allen gemein, dass wir eine Sehnsucht nach Verbindung haben“, sagt die Berührerin.

Was genau sie mit denen macht, die zu ihr kommen, plant Reich vorher nicht und unterscheidet sich dadurch von Massage- oder Tantrastudios. „Es gibt nicht die eine Form der Massage“, sagt sie. Jeder spreche anders auf Berührungen an. Bevor sich ihre Kunden auf die Matratze mit den bunten Tüchern legen - sie können dabei soviel ausziehen, wie sie wollen - redet sie mit ihnen. Sie will erfahren, warum sie zu ihr kommen. Manche wollten etwas Neues ausprobieren, andere seien einsam, weil sie alleine lebten oder ihnen in ihrer Beziehung etwas fehle, erzählt Reich, die viel lacht und sehr offen wirkt.

Einer ihrer Kunden fährt einmal im Monat von Süddeutschland nach Berlin. Der 70-Jährige, der anonym bleiben möchte, lebt allein, war nie verheiratet. Von Reich las er in der Zeitung. „Das ist es“, habe er gedacht. Warum? „Weil es Leute gibt, die keine Berührung haben“, antwortet er. „Ich habe unzähligen Leuten in meinem Leben die Hände gegeben, aber das ist nicht dasselbe.“

Der Rentner erzählt, zu seinem letzten Geburtstag seien Dutzende Leute gekommen, er lebe nicht zurückgezogen. Aber trotzdem sei da niemand, der ihn anfasse. Warum - das sei das große Rätsel geblieben. „Ich sehe die Besuche nicht als Wellness-Veranstaltung, sondern will damit verborgene Konflikte und Blockaden lösen“, erklärt er.

Der Großteil ihrer Kunden seien Männer, sagt die Berührerin. „Vielleicht, weil Männer sich Zuwendung leichter kaufen.“ Viele der Massagen endeten auch erotisch, allerdings sei das nicht das Ziel. „Ich pushe das nicht irgendwo hin.“ Manchmal geschehe es einfach: „Spannung entsteht aus Entspannung.“

Auch Rosemarie, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, geht ab und an zu Reich. Sie lebt in Berlin und hat seit mehr als zehn Jahren einen Partner. Die Besuche bei der Berührerin sieht sie als Ergänzung zu ihrer Beziehung. Es sei schön, von einer Frau angefasst zu werden - alles sei langsam und achtsam. „Ein wunderbarer Luxus“, sagt die 71-Jährige. Seit sie zu Reich gehe, fasse sie auch ihre Freundinnen öfter an und streichele sie. „Es kostet ja nichts.“

Viele, die zu ihr kämen, seien nach dem Besuch gelöst, erzählt Reich, die Mutter von zwei Töchtern ist. „Es gibt aber auch Menschen, die haben soviel Sehnsucht, die saugen alles auf.“ Sie nennt sie „die Schwamm-Menschen“. Ihnen könne sie nicht wirklich helfen. Was sie mache, sei „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Warum der Mensch sich nach Berührung sehnt, hat der Wiener Mediziner und Autor Prof. Cem Ekmekcioglu („Der unberührte Mensch - Warum wir mehr Körperkontakt brauchen“) aufgeschrieben. „Körperkontakt tut uns gut, ruft Wohlbefinden hervor und wirkt stressmindernd“, sagt er. In einer Gesellschaft, in der die Menschen immer älter würden, zunehmend alleine lebten und das Internet vieles ersetze, sei es wichtig, sich das bewusst zu machen. „Ich vermute, viele Menschen, merken gar nicht, was ihnen fehlt.“

Und die, die es merken, versuchen etwas gegen den Berührungsmangel zu tun. Unzählige Wellness-Angebote, Massage-Salons oder auch Kuschelpartys wie sie in Berlin etwa von einer selbst ernannten „Kuscheltrainerin“ angeboten werden, lassen darauf schließen.

Wie viele Angebote es gibt, die dem Programm Reichs entsprechen, ist dagegen schwer zu sagen. Wenn Reich jedenfalls Annoncen aufgibt, stehen sie unter „Erotische Massagen“. Ihren Vorschlag, die Rubrik „Berührungen“ aufzuführen, habe eine Tageszeitung abgelehnt, berichtet sie. Das sei schade. So dringe ihr Angebot vielleicht nicht zu allen durch, die damit was anfangen könnten. Denn Nähe sei ein Grundbedürfnis. „Wir sind soziale Wesen, wir können nicht alleine rumkrebsen.“