Glückliches Geflügel - Waldputen wachsen unter Bäumen auf

Zieslübbe (dpa) - Die Putenhaltung in Deutschland ist in Verruf geraten. Drückende Enge in den Ställen, gekürzte Schnäbel, Antibiotika auf Verdacht. Das geht auch anders. Biobauern in Mecklenburg ziehen das Geflügel auf Wiesen und unter Bäumen groß.

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„Mäuse, Mäuse, Mäuse, na kommt, kommt!“ - Landwirt Henning Westphal lockt seine jungen Truthühner über die saftig grüne Wiese bis zum dichten Wald. Unter Kiefern und Eichen finden sich ein paar Sitz- und Kletterstangen. Lieber noch flattern die Tiere aber auf die Äste der Bäume, wie der „Putenhirte“ sagt. Rund 2300 Truthühner und -hähne gedeihen derzeit auf dem weitläufigen Freigelände des Biohof Zieslübbe bei Parchim, einem Partnerunternehmen des Geflügelverarbeiters Mecklenburger Landpute in Severin. „Natürliche Aufzucht in gesundem Lebensraum, viel Platz für Bewegung, das bedeutet Tierwohl“, sagt Geschäftsführer Armin Kremer.

Mit ihrem bundesweiten Pilotprojekt wollen die Mecklenburger beweisen, dass tiergerechte Geflügelmast möglich ist, wie Kremer betont. Rund 5000 Bioputen halte er in Ställen mit Auslauf. Bis zu 2500 weitere Tiere der besonders robusten, langsam wachsenden englischen Rasse „Kelly Bronze“ aber dürften ausschließlich im Freien leben, im Wald und auf angrenzenden Wiesen. Den sogenannten „Waldlandputen“ stehen in Zieslübbe rund 7500 Quadratmeter Baumbestand sowie gut zwei Hektar Grünland zur Verfügung. Unterstände werden fast nie genutzt, beobachtet Puten-Betreuer Westphal.

Die erst wenige Wochen alten Truthühnchen rennen als Herde munter über das frische Grün. Vor zu starker Sonne suchen sie Schutz im schattigen Wald, wie Westphal berichtet. Seine Schützlinge seien sehr neugierig, reagierten auf Pfiffe, würden viel Gras fressen und dazu Biogetreide. Die Schnäbel werden nicht gekürzt, die Tiere haben nach Westphals Ansicht mehr als genug Platz für ein artgerechtes Sozialverhalten.

Wegen des natürlichen Umfeldes seien seine Wald- und Wiesenputen, die er seit 2013 und mittlerweile im dritten Durchgang aufzieht, noch nie krank gewesen, betont Armin Kremer. Medikamente, Antibiotika seien bislang in keiner der Herden eingesetzt worden.

Selbst bei Schnee und Frost fühle sich das Federvieh im Freien wohl, meint Westphal. Als gelernter Schäfer habe er früher auch schon in großen Geflügelställen gearbeitet, erzählt er. Den Versuch einer Wald- und Wiesenhaltung finde er richtig. „Das ist gut für die Tiere“, meint er. „Am Ende können die Puten hier immer noch schnell laufen und flattern, die Hähne entwickeln ein regelrechtes Balzverhalten, selbst die großen Hennen schaffen es noch auf die Bäume.“

Insgesamt nimmt die Putenhaltung in Mecklenburg-Vorpommern seit Jahren zu. Laut Statistischem Amt wurden 2010 rund 380 000 Truthühner aufgezogen, 2013 waren es schon 590 000 Tiere in konventioneller und biologischer Haltung. Das Schweriner Agrarministerium hat in der Geflügelmast ein Antibiotika-Monitoring eingeführt. Durch die Datenerfassung sowie Konzepte zum Gesundheitsmanagement sollen die Medikamentengaben in den Ställen deutlich reduziert werden.

Letztlich aber entscheide der Verbraucher über die Zukunft seines Wald-Versuchs, weiß Biobauer Armin Kremer. Mitte Dezember würden die weiblichen Tiere im Alter von dann 18 Wochen ein Schlachtgewicht von jeweils rund acht Kilogramm erreicht haben. Bereits jetzt seien sieben von zehn der heranwachsenden Waldlandputen für Weihnachten vorbestellt.

Verkauft wird bundesweit über den Naturkosthandel. Der Preis für das Bio-Geflügel mit dunklerem, gut faserigem Fleisch liege bei rund zehn Euro je Kilo, erklärt Kremer. Damit kosteten die Waldlandputen rund 20 Prozent mehr als konventionelle Truthühner und dreimal so viel wie Discount-Ware.

Trotz der höheren Verbraucherpreise und vieler skeptischer Stimmen sowie anfänglicher Vorbehalte beim Forst und anderen Landesbehörden sieht der Betriebschef gute Marktchancen für sein neues Nischenprodukt. „Diese alternative Aufzucht kann eine Perspektive haben“, sagt Kremer. Und: Die Pute sei ohnehin viel fettärmer als Gans oder Ente und daher als gesünderer Festtagsbraten zunehmend gefragt.