Anthroposophische Medizin - Der Mensch im Mittelpunkt

Berlin/Exeter (dpa/tmn) - Bei einem Beinbruch erwartet kaum jemand eine nach der Seelenlage fragende Behandlung. Bei anderen Erkrankungen kann das aber wichtig sein. Hier setzt die anthroposophische Medizin an.

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Kritiker halten sie für unwissenschaftlich.

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Das ist der Normalfall: Wer sich einen Arm bricht, bekommt einen Gips oder eine Schiene, und dann ist bald alles wieder gut. Es gibt allerdings Krankheiten, da ist der Genesungsprozess nicht so einfach. So wünscht sich wohl jeder, der ernster erkrankt, dass der Arzt seinen Körper nicht nur als mechanisches Objekt sieht, an dem etwas repariert werden muss. Sondern als Mensch, dessen Geist und Seele einen entscheidenden Anteil am Gesundwerden haben.

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In der Schulmedizin kann das aus Zeit- oder Kostengründen manchmal zu kurz kommen. Hier setzt die anthroposophische Medizin an. „Anthroposophische Medizin ist nicht in Abgrenzung zur konventionellen Medizin zu sehen, eher in Erweiterung“, sagt Prof. Alfred Längler vom Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMiD). Die anthroposophische Medizin basiert wie die Schulmedizin auf modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, greift darüber hinaus aber auch spirituelle, ganzheitliche Ansätze der von Rudolf Steiner (1861-1925) begründeten Anthroposophie auf.

Ein Beispiel soll das veranschaulichen: Wenn jemand eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung hat, lässt sich das eindeutig mit einer endoskopischen Untersuchung feststellen. Darüber hinaus aber spielen seelische Faktoren eine Rolle: Was macht die Krankheit mit mir? „Die Frage ist: Was leite ich daraus für die Therapie ab?“, erläutert Längler, der Kinderonkologe und Leitender Arzt der Abteilung Kinder- und Jugendmedizin am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke (Nordrhein-Westfalen) ist.

Rudolf Steiner entwickelte die anthroposophische Medizin Anfang des 20. Jahrhunderts gemeinsam mit der Ärztin Ita Wegmann (1876-1943). Heute wird sie nach DAMiD-Angaben in mehr als 80 Ländern praktiziert. Stationär angeboten wird sie in Deutschland in neun Akutkliniken, darunter das Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, sowie in sechs Reha-Kliniken und von niedergelassenen Ärzten.

Ziel der anthroposophischen Behandlung ist laut Längler, mit dem Patienten einen Weg zu suchen, wie er durch die Krankheit gehen und mit therapeutischer Unterstützung die Krankheit aus sich heraus überwinden kann.

Neben ausführlichen Diagnosegesprächen, in denen auch die Lebensumstände und die Biografie des Patienten eine Rolle spielen, gehören zur anthroposophischen Behandlung unter anderem rhythmische Massagen und schöpferische Therapien. Das kann eine Maltherapie sein oder die Heileurythmie, bei der der Patient Sprache und Musik in Bewegung übersetzen soll. „Effekt soll sein, über mein seelisches Erleben körperliche Vorgänge zu beeinflussen“, erläutert Kinderonkologe Längler.

So ansprechend diese Wertschätzung für den Patienten auch sein mag: Kritiker werfen der anthroposophischen Medizin Quacksalberei vor - spätestens dann, wenn es um den Einsatz spezieller anthroposophischer Medikamente geht. „Aus meiner Sicht ist die anthroposophische Medizin alles andere als wissenschaftlich, ganz im Gegenteil, sie will die Regeln der Wissenschaftlichkeit für sich neu definieren“, kritisiert etwa Edzard Ernst, emeritierter Professor der Universität Exeter (Großbritannien).

Ernst hat sich der Erforschung der Wirksamkeit und Sicherheit von alternativmedizinischen Methoden verschrieben und hält die anthroposophische Medizin „im Großen und Ganzen“ nicht für eine brauchbare Heilmethode - auch wenn es sicher Elemente gebe, die nützlich seien. „Anthroposophische Ärzte sind meist sehr emphatisch und pflegen ihre Patienten recht gut“, nennt er ein Beispiel. „Von den spezifischen Therapien der anthroposophischen Medizin würde ich dagegen eher abraten.“

Trotz solcher Kritik bieten Krankenversicherungen manchmal die Kostenübernahme für einzelne anthroposophische Behandlungsmethoden an. Gesetzlich Versicherte sollten aber immer vorab bei ihrer Kasse fragen, ob diese als freiwillige GKV-Leistungen erbracht werden oder aber ganz oder teilweise vom Patienten selbst zu zahlen sind. „Grundsätzlich ist die anthroposophischer Medizin als Beispiel für Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen im GKV-Leistungskatalog nicht ausgeschlossen“, erläutert Ann Marini vom GKV-Spitzenverband.

Gerade im Hinblick auf die Wirksamkeit anthroposophischer Medikamente ist Mediziner Ernst skeptisch. Die Mittel sollen anders als herkömmliche Arzneimittel nicht bestimmte Stoffe im Körper ersetzen oder bestimmte Prozesse wie Fieber unterdrücken, sondern aus dem Gleichgewicht geratene Vorgänge wieder ins Lot bringen. Anleihen nehmen die Anthroposophen dabei auch am Ansatz der Homöopathie, Gleiches mit Gleichem zu heilen.

Prominentestes Beispiel ist der Einsatz von Mistelpräparaten in der Krebstherapie, die unter anderem die Lebensqualität der Patienten steigern sollen. Ernst hat etliche Studien dazu systematisch verglichen und kam zu dem Schluss, dass viele davon methodisch schwach sind und widersprüchliche Ergebnisse liefern. Methodisch strenge Studien konnten dagegen keine Wirksamkeit nachweisen. Ernst empfiehlt daher, die Mistel lieber als Weihnachtsdekoration und zum Drunter-Küssen zu verwenden, aber nicht als Antikrebs-Medikament.

Literatur:

Simon Singh/Edzard Ernst: Gesund ohne Pillen - was kann die Alternativmedizin? Hanser, 408 Seiten, 21,50 Euro, ISBN-13: 978-3446245549