Apfelwein als „Herzensangelegenheit“: Regionaltrend funktioniert
Frankfurt/Main (dpa) - Apfelwein ist immer noch gewöhnungsbedürftig. Die Kelterer profitieren aber vom Trend zur Regionalität. Die Streuobstwiesen als Rohstoffquelle pflanzen und pflegen sie mit ihren Kunden.
Mit dem Sommer sind sie nicht unbedingt zufrieden.
Apfelwein ist für Neu-Hessen immer noch gewöhnungsbedürftig. Viele verziehen das Gesicht beim ersten Glas: zu sauer. Aber gemischt mit Mineralwasser als erfrischendes Sommergetränk, auf der einfachen Holzbank in der schattigen Gartenwirtschaft - da machen in Frankfurt sogar die Banker mit. Der Absatz sei im ersten Halbjahr gut gewesen, sagt Martin Heil, der Vorsitzende des Verbandes Hessischer Apfelwein- und Fruchtsaftkeltereien. Aber der Sommer hätte nach dem Geschmack der Branche mehr heiße Tage bringen können - nach dem sonnigen Juni kam zu viel Regen.
Das Konzept der Regionalität sei voll aufgegangen, sagt Heil. Die 42 im Verband zusammengeschlossenen Betriebe mit insgesamt 300 Beschäftigten seien winzig bis mittelständisch und um Frankfurt herum konzentriert - dem Kerngebiet des Absatzes, der sich stabil halte. Die Jahresproduktion aller Verbandsmitglieder zusammen entspricht mit 33 Millionen Litern dem Bierausstoß einer einzigen mittleren Brauerei.
Aber Bier, das die Kelterer auch als Konkurrenz zu ihrem „Stöffche“ sehen, gebe es überall. Apfelwein dagegen sei ein typisch regionales Produkt, sagt Heil. Diese Regionalität, früher vielleicht als verstaubt empfunden, sei zum allgemeinen Trend geworden, von dem die Kelterer profitierten. Zumindest gehe der Absatz nicht zurück.
Und der pure Apfelwein sei inzwischen viel milder als früher, zudem gebe es über 100 verschiedene Varianten: das „Stöffche“ in Dosen, prickelnd als Cidre rosa oder klassisch, gemischt mit Cola und sogar alkoholfrei kommt der Apfelwein inzwischen daher. „Die Branche ist kreativ“, sagt Heil.
Voll im Regionaltrend liegen auch die Streuobstwiesen - von Naturschützern als besonders artenreiche, schützenswerte Lebensräume gepriesen. Für die Erwerbsobstanbauer spielen die Wiesen keine Rolle, und statistisch werden ihre Erträge gar nicht erfasst, die Flächen sind zu klein. „Kelterobstanbau - das macht hier kein Landwirt“, sagt Verbandsvorsitzender Heil. Sein Namensvetter Berthold Heil, mit dem er nicht verwandt ist, vertritt den gewerblichen Apfelanbau in Hessen und sagt, an die Kelterer werde wegen der niedrigen Preise „so wenig wie möglich“ geliefert.
„Streuobstwiesen spielen wirtschaftlich keine Rolle“, bestätigt Eberhard Walther vom Landesbetrieb Landwirtschaft (LLH) in Kassel. Die Kelterer schätzten sie wegen ihrer Sortenvielfalt, die dem Aroma von Saft und Apfelwein eine besondere Note verleihe. Außerdem werden die Bäume auf den Wiesen nicht gespritzt. Aber bei Preisen von ein paar Cents je Kilo rechne sich die Ernte und die Pflege der Bäume nicht, sagt Walther. Weil die Mengen nicht für die Apfelweinproduktion ausreichten, seien die großen Betriebe zusätzlich auf Importe angewiesen.
Aber Streuobstwiesen sind gut fürs Image. Und so rücken die Kelterer das Naturerlebnis in den Vordergrund und preisen alte Sorten wie „Jakob Fischer“, „Rheinischer Bohnapfel“ oder „Kaiser Wilhelm“, „Ausbacher Roter“, „Mensfelder Glanzrenette“ oder „Odenwälder“. Zusammen mit den Kunden werden neue Bäume auf die Wiesen gepflanzt, und die Kelterer bieten Baumschnitt-Kurse an. Denn ein guter Schnitt sei wichtig für den Ertrag und die Entwicklung der Bäume, sagt Heil.
Probleme, die Kelteräpfel von den Wiesen loszuwerden, gebe es nicht: Die Firmen hätten Sammelstellen und genug Lagerkapazität - „wir verarbeiten alles, was kommt.“ Rund 10 Cents zahlen die Kelterer für das Kilo - da wird nicht über Verdienst geredet. Und so werde die Arbeit in den Streuobstwiesen zum Fitnessprogramm und „zu einer Herzensangelegenheit - das funktioniert“, sagt Heil.