Armut und Resistenzen erschweren Kampf gegen Tuberkulose
Würzburg (dpa) - Tuberkulose-Erreger sind immer häufiger immun gegen übliche Medikamente - das macht die Therapie schwierig. Nach langem Stillstand in der Forschung kommen nun neue Mittel auf den Markt.
Doch der Kampf gegen die Krankheit ist damit nicht gewonnen.
Wer die „weiße Pest“ nicht ernst nimmt, landet bei Ralf Mütterlein. „Wir müssen immer viel verhandeln“, sagt der Arzt: den Kranken die Röntgenbilder zeigen, ihnen erklären, dass ein Abbruch der Therapie tödlich sein kann. Dass sie andere gefährden, wenn sie die geschlossene Klinik verlassen. Mütterleins Patienten haben ansteckende Tuberkulose, verweigern sich aber der Isolation. Die Lungenklinik im bayerischen Parsberg ist die einzige in Deutschland, in der uneinsichtige Patienten auf gerichtliche Anordnung gegen ihren Willen eingesperrt und behandelt werden.
Etwa 70 bis 80 Fälle der gefährlichen Infektionskrankheit versorgt das Team pro Jahr. Oft spielten Alkohol und Drogen eine Rolle, erzählt Mütterlein. Einige kommen auch aus dem Ausland.
Lange Zeit schien die Tuberkulose so gut wie besiegt: Die Antibiotika wirkten zuverlässig, die Zahlen sanken. In Deutschland gab es 2012 nach der gerade veröffentlichten Statistik des Robert Koch-Instituts 4220 neue Tuberkulosefälle, 146 Menschen starben.
Doch der Rückgang verlangsamt sich, weltweit kostet die Infektionskrankheit 1,3 Millionen Menschen im Jahr das Leben. Immer mehr Patienten infizieren sich zudem mit Erregern, die gegen mehrere Medikamente immun sind. Zum Welt-Tuberkulose-Tag am 24. März schlagen Hilfsorganisationen Alarm.
„Die Behandlung der resistenten Formen hat für den Patienten wesentlich schwerwiegendere Nebenwirkungen und ist 50 Mal teurer als die normale Behandlung“, sagt Burkard Kömm, der Geschäftsführer der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe DAHW. Bis zu zwei Jahre müssen die Patienten einen Antibiotika-Cocktail schlucken, der schwere Schädigungen des Nervensystems und Hörschäden verursachen kann.
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab es 2012 weltweit 450 000 Fälle der sogenannten multiresistenten Tuberkulose (MDR). Das ist ein kleiner Teil der 8,6 Millionen Erkrankungen. Doch vor allem in Osteuropa und Zentralasien sowie im südlichen Afrika liegt der Anteil deutlich höher. „In Usbekistan hat mehr als ein Viertel aller neu diagnostizierten Fälle bereits eine resistente Tuberkulose“, sagt Kömm. „Das ist Wahnsinn. Das ist nicht mehr die Ausnahme, sondern das wird die Regel.“
Die Medikamentenforschung hinkt hinterher. „Unsere Mittel sind uralt, weil wir gedacht haben: Die Tuberkulose haben wir bis 2015 halbiert, und 2050 haben wir keine mehr“, sagt Sabine Rüsch-Gerdes, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für Mykobakterien am Forschungszentrum Borstel in Schleswig-Holstein. „Also hat natürlich keine Firma die Notwendigkeit gesehen, an neuen Medikamenten zu forschen.“
Das hat sich geändert. Erstmals seit Jahrzehnten kommen jetzt neue Medikamente auf den Markt oder stehen vor der Zulassung: Bedaquilin und Delamanid. Ein Lichtblick, aber für Experten kein Anlass zur Entwarnung. Weil Tuberkulose immer mit mehreren Antibiotika behandelt werden müsse, seien zwei neue Arzneien nicht genug, sagt Rüsch-Gerdes. Das einzig wirksame Mittel sei ein neuer Impfstoff. „Das dauert noch ein paar Jahre.“
Auch in Deutschland stieg die Zahl der MDR-Fälle zuletzt - aber auf sehr niedrigem Niveau. 2012 gab es etwa drei Dutzend Betroffene. „Wir sind nicht auf einer einsamen Insel“, warnt Rüsch-Gerdes. „Wir sollten uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen.“
Die Gefahr in Deutschland sei momentan noch sehr gering, betont Kömm. Zumal es einen ganz entscheidenden Faktor gibt: Armut. „Tuberkulose ist weiterhin eine Armutskrankheit.“ Wo Menschen in schlecht gelüfteten Hütten auf engem Raum zusammenleben und unter Mangelernährung leiden, da hat der Erreger leichtes Spiel.
Hinzu kommen oft Probleme in den Gesundheitssystemen der besonders betroffenen Länder. Da gibt es nicht genug Krankenhausbetten, um die schweren Fälle zu isolieren - stattdessen werden ansteckende Patienten einfach nach Hause geschickt, wie Experten berichten. Oder die Behandlung muss unterbrochen werden, weil Medikamente fehlen. Die DAHW fordert daher mehr Investitionen in diese „letzten Meter“ der Versorgung.
Auch für Ralf Mütterlein ist es manchmal schwierig, seine Patienten lang genug behandeln zu können - aber aus anderen Gründen. Wenn seine Kranken, von denen mehr als die Hälfte mit multiresistenter Tuberkulose infiziert ist, nicht mehr ansteckend seien, müssten sie wegen der hohen Kosten oft entlassen werden. Besiegt ist der Erreger dann jedoch noch nicht. Die Betroffenen dürfen die Behandlung außerhalb der Klinik nicht abbrechen. Aber: „Sobald sie draußen sind, fallen sie in ihren Lebensrhythmus zurück.“