Patient Mayer oder Meier? Aus Fehlern in der Arztpraxis lernen
Frankfurt/Main (dpa) - „Mein Name ist Armin Wunder, ich bin Hausarzt und ich mache Fehler“, sagt der Allgemeinmediziner und schiebt gleich hinterher: „Das ist ein Statement, klar.“
In seiner Praxis in
Frankfurt am Main gehört es zum guten Ton, zuzugeben, wenn etwas
schief lief. Da muss der Chef mit gutem Beispiel vorangehen.
Dass das nicht überall so ist, kann wohl jeder Patient aus eigener
Erfahrung berichten. Der Gegenentwurf heißt: Ich bin Arzt und habe
immer Recht, Fehler machen nur die anderen. Eine Einstellung, die
nicht nur unangenehm, sondern auch gefährlich ist. Das Institut für
Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt, das Aktionsbündnis
Patientensicherheit und die Techniker Krankenkasse wollen jetzt
anschieben, dass in Arztpraxen ein Kulturwandel beginnt.
400 Praxen können deutschlandweit an einem Programm teilnehmen, das
sich CIRSforte nennt. CIRS steht für „Critial Incident Reporting
System“, also ein Berichtssystem für kritische Ereignisse. In
Krankenhäusern sind CIRS-Systeme seit langem gang und gäbe. Nun
sollen sie auch im ambulanten Sektor etabliert werden.
Die Projektverantwortlichen sehen großen Nachholbedarf: „Die
Möglichkeiten, die das Lernen aus Fehlern bietet, werden im
ambulanten Bereich noch deutlich zu wenig genutzt“, steht in dem
Flyer, mit dem um Studienteilnehmer geworben wird.
Die Gemeinschaftspraxis von Dr. Wunder und seinen Kollegen war eine
der ersten, die sich angemeldet haben. Für sie ist Fehlermanagement
ein alter Hut. Schon seit Jahren treffen sich die fünf Ärzte und die
fünf medizinischen Fachangestellten regelmäßig, um in gemeinsamen
Teamgesprächen durchzugehen, welche Pannen passiert sind. Mit
CIRSforte hoffen sie, „dass wir noch mehr sensibilisiert werden, auf
Fehler zu achten und über Fehler zu sprechen“, sagt der 57-Jährige.
Vielleicht sind Fehler beim Hausarzt nicht immer so schwerwiegend wie
im Krankenhaus, aber auch hier sind sie vermeidbar. Oft ist es nur
eine Kleinigkeit, die die Behandlung für den Patienten sicherer
macht, etwa ein zweiter Blick auf das Rezept. Stimmt die
Wirkstoffmenge, stimmt die Packungsgröße? Die Angestellten prüfen,
was der Arzt aufschreibt, und der Arzt unterschreibt nichts, ohne es
noch einmal zu lesen. Um zu vermeiden, dass Patienten mit ähnlichen
Namen verwechselt werden, werden Herr Mayer und Herr Meier immer nach
dem Geburtsdatum gefragt.
Besonders krasse Fälle veröffentlicht die Praxis auf dem Portal
„Jeder Fehler zählt“. Das Fehlerberichts- und Lernsystem für
Hausarztpraxen wirbt mit dem Slogan: „Man muss nicht jeden Fehler
selber machen, um daraus zu lernen“. Praxen können dort anonym
Berichte einstellen und darüber diskutieren. Es gibt praktische Tipps
zur Fehlervermeidung und einen Fahrplan für die Fallanalyse.
Alle vier Wochen gibt es auf „Jeder Fehler zählt“ den „Fehler des
Monats“. Ausgewählt wird nicht etwa der schlimmste Fehler, wie das
Projektteam am Institut für Allgemeinmedizin erklärt, sondern
besonders typische oder häufige Irrtümer „und auch solche, von denen
wir glauben, dass man anhand dieses Berichtes besonders viel und gut
lernen kann“.
Wie zum Beispiel aus dem Fall mit dem Blutzuckermessgerät: Eine
Mitarbeiterin hatte das Gerät falsch herum gehalten und einen
aberwitzig hohen Wert abgelesen, die Patientin kam ohne Not ins
Krankenhaus. In den meisten Praxen würde es bei Erklärung und
Ermahnung bleiben, aber Dr. Wunder sagt: „Der Satz „Pass halt besser
auf“ bringt überhaupt nichts.“ Man müsse „ent-emotionalisiert“
darüber sprechen, was passiert sei und wie man es vermeiden könne. In
diesem Fall wurde beschlossen, Anfänger besser einzuweisen, die
Ergebnisse gegenzuchecken und am Gerät zu markieren, wo oben ist.
„Jeder Fehler ist ein Schatz“, sagt Prof. Ferdinand Gerlach, Direktor
des Instituts für Allgemeinmedizin: Fehler böten die Chance,
„gemeinsam aus kritischen Ereignissen in der Praxis zu lernen und so
die zukünftige Versorgung der Patienten in der Hausarztpraxis noch
sicherer zu machen.“ Damit sich eine „Fehlerkultur“ entwickeln kann,
brauche es einen offenen Umgang mit Pannen. Die richtige Frage sei
nicht „Wer war schuld“, sondern „Was war schuld“.
In Krankenhäusern hätten sich solche Fehlerberichts- und Lernsysteme
schon lange etabliert, sagt Barbara Voß, Leiterin der
Landesvertretung Hessen der Techniker Krankenkasse (TK). Sie seien
„wichtige Instrumente des klinischen Risikomanagements“. In
ambulanten Praxen habe man eine solche „Sicherheitskultur“ nicht,
zumindest nicht flächendeckend. Nötig wäre das durchaus, glaubt Voß:
Jeder dritte Ärztepfusch-Vorwurf von TK-Versicherten betreffe eine
ambulante Behandlung.