Blinde ertasten Brustkrebs
Eine Ungewöhnliche Methode soll die Vorsorge bei Frauen verbessern.
Monheim. Langsam fährt Miroslawa Gräßer (31) über die Brust der Frau, die vor ihr sitzt. Mit leichtem Druck der Fingerspitzen sucht sie das Gewebe nach kleinen Unregelmäßigkeiten ab, Zentimeter für Zentimeter. Ihre hochsensiblen Hände suchen nach einem Tumor.
Miroslawa Gräßer ist blind. Durch eine Krankheit hat die 31-Jährige vor Jahren ihr Augenlicht verloren, seitdem verlässt sie sich vor allem auf ihren Tastsinn. Der ist bei Blinden besonders gut ausgebildet. Jetzt kann sie mit ihrer außerordentlichen Fähigkeit Menschenleben retten. "Ich benutze meinen Tastsinn, um das weibliche Brustgewebe nach möglichen Veränderungen abzutasten", sagt sie.
In einer Monheimer Frauenarztpraxis nimmt Miroslawa Gräßer diese Untersuchungen vor. Sie sind der letzten Teil ihrer Ausbildung zur medizinischen Tastuntersucherin (MTU) im Rahmen des Projekts "discovering hands" (entdeckende Hände). Das ist nicht nur ein völlig neuer Berufszweig für Blinde, sondern die logische Verknüpfung, vorhandene Fähigkeiten gezielt einzusetzen. "Wenn durch meine Arbeit auch nur einer Frau weniger wegen eines Tumors die Brust entfernt werden muss, sehe ich das schon als Erfolg", so Gräßer.
"Das sind einfach Feinheiten, die mir beim Abtasten nicht aufgefallen wären", sagt der Gynäkologe Ernst Rainer Gethmann über die Fähigkeiten der 31-Jährigen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Friedhelm Fester bietet er der erblindeten Frau in seiner Praxis die Möglichkeit, den praktischen Teil der Ausbildung abzuschließen. Patientinnen können ihre Brust zusätzlich zur Untersuchung durch einen Mediziner kostenlos abtasten lassen.
Für das Abtasten nimmt sich Miroslawa Gräßer je nach Größe der Brust 20 bis 40 Minuten Zeit. Ein Klebestreifen, auf dem ein Zentimetermaß eingeprägt ist, dient ihr als Markierung. Eine medizinische Vorbildung hat die 31-Jährige nicht. Das Berufsförderungswerk Düren und die Universitätsfrauenklinik in Essen schulten die junge Monheimerin und zwei weitere blinde Frauen. "Zuerst haben wir viel Theoretisches gelernt, dann erst an Silikonkörpern geübt, später auch an ausgesuchten Testpersonen."
Mittlerweile hat Gräßer in ihrem Praxis-Einsatz schon bei etwa 50 Frauen die Brust abgetastet. Gräßer: "Die Jüngste war 31, die Älteste 86 Jahre alt." In mehreren Fällen führte ihr Abtasten dazu, dass eine Ultraschalluntersuchung angeordnet wurde, in einem Fall zur Mammographie.
Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen, rund zehn Prozent erkranken im Laufe ihres Lebens. Nicht immer verläuft die Krankheit tödlich, und auch die Entfernung der Brust ist die Ausnahme geworden. Dennoch ist die Gefahr groß, dass ein zu spät entdeckter Tumor Metastasen bildet, die sich in anderen Organen einnisten. "An einem Tumor in der Brust ist noch keine Frau gestorben, das Gefährliche sind die Metastasen", so Gynäkologe Gethmann. Um deren Bildung zu vermeiden, muss die Gewebeveränderung früh entdeckt werden. Erst ab einem Durchmesser von einem Zentimeter bildet der Tumor Metastasen. "Je eher man die Veränderung findet, desto einfacher und gefahrloser ist die Entfernung", sagt Friedhelm Fester.
Eine besonders frühe Entdeckung ist das Ziel von Miroslawa Gräßers Arbeit. Die Reaktion ihrer Patientinnen ist positiv, "viele fragen sich, warum keiner früher auf diese Idee gekommen ist".
Zahlen Brustkrebs (Mammakarzinom) ist die häufigste Krebsart bei Frauen. Jährlich erkranken mehr als 55 000 Frauen in Deutschland neu daran, etwa 17 700 sterben pro Jahr an dieser Krebserkrankung (Statistisches Bundesamt 2005).
Risiken Ein erhöhtes Risiko an Brustkrebs zu erkranken haben Frauen, die älter als 50 Jahre sind (allgemeines Altersrisiko); die keine Kinder haben oder erst nach dem 30. Lebensjahr schwanger werden; deren erste Regelblutung vor dem zwölften Lebensjahr einsetzte oder die erst spät in die Wechseljahre gekommen sind; in deren Familie mehrere Frauen vor dem 50. Lebensjahr an Brust- und/oder Eierstockkrebs erkrankt sind.
Früherkennung Frauen ab dem 30. Lebensjahr steht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung einmal jährlich eine kostenlose Untersuchung der Brust zu. Wenn man den Krebs frühzeitig erkennt, ist Brustkrebs zu über 90 Prozent heilbar.
Mammographie-Screening Für Frauen vom Beginn des 51. bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres besteht alle zwei Jahre Anspruch auf ein qualitätsgesichertes Mammographie-Screening, eine Röntgenuntersuchung der Brüste.
Behandlung Steht die Diagnose Brustkrebs fest, ist in den meisten Fällen ein chirurgischer Eingriff notwendig. Heute kann jedoch in 60 bis 70 Prozent aller Fälle brusterhaltend operiert werden