Bratwurst, Soja-Steaks: Vom Glaubenskrieg am Grill
Berlin (dpa) - Spätestens, seit die Suchanfrage „Veganes Grillen“ im Netz nicht nur zu Tierschutz-Organisationen, sondern auch zu einem großen Lebensmittel-Discounter und jeder Menge Rezepten führt, weiß man: Das klassische Stück Fleisch auf dem Grill ist längst nicht mehr das Nonplusultra.
Auf Grillpartys müssen sich Würstchen-Liebhaber den Rost mit immer mehr Menschen teilen, die sich für eine andere Ernährung entschieden haben. Das hat Chaos-Potenzial. Denn längst haben es die Fleisch-Esser nicht mehr nur mit Vegetariern zu tun. Rund 900 000 Veganer gebe es bereits in Deutschland, schätzt der Vegetarierbund Deutschland (Vebu). Sie meiden alle tierischen Lebensmittel, komplett. Da ist natürlich auch der Feta-Käse in der Aluschale tabu.
„Paleo“-Anhänger dagegen - rund 100 000 könnte es laut deren Ernährungsguru Nico Richter in Deutschland geben - wollen zwar gern ein saftiges Stück Fleisch auf dem Grill. Ganz in Erinnerung an die Steinzeit. Aber bei allem Verarbeiteten, wozu auch Bratwürste zählen, hört ihre Liebe auf. Und um die Verwirrung für die Grillmeister komplett zu machen: bei Milchprodukten auch.
„Unsere Ernährung basiert im Grunde auf Nahrungsmitteln, die schon ewig da sind“, sagt Richter, dessen Paleo-Kochbuch samt 30-Tage-Ohne-Challenge in der Szene als Bibel gilt. „Alles, was man nicht hätte jagen oder sammeln können, ist tabu.“ Paleo-Anhänger streichen Getreide und Milch sowie stark verarbeitete Lebensmittel von ihrem Essensplan. Ein Pitabrot auf dem Grill oder eine durchgedrehte Wurst passen dazu nicht. „Da kommen ein gutes Stück Fleisch vom Metzger und Gemüse mit Olivenöl, Salz und Pfeffer in Frage.“
Alternative Grillprodukte, die für Paleo-Esser dann wegfallen, entdeckt die Industrie zunehmend für sich: In langer Tüftelarbeit entstehen in Laboren künstlich hergestellte Lebensmittel. Allen voran die „vegane Wurst“. Hersteller werben mit „saftigem Steak, feinstem Hack, kernigen Bratwürsten und zartem Schnitzel“ aus Soja oder Weizen, dafür mit Aromen und Säureregulatoren.
Außerdem gibt es die veganen Klassiker für den Grill: „Maiskolben und Kartoffeln gehen immer“, sagt Tim Schmelt, der in seinem Blog über veganes Leben und Superfoods schreibt. „Das ist aber eher eine langweilige Option.“ Der 17-Jährige aus Hessen schwört stattdessen auf Bohnen-Burger mit Rote Bete oder auf Kirchererbsen als Grundlage für vegane Hamburger für den Rost.
Superfoods sollen laut Marketing besonders gesunde Lebensmittel sein. Kritiker dagegen finden Chia oder Goji wenig nützlich und dafür umso teurer. Auf der Grillparty eignen sie sich eher als Beilage, wie Schmelt meint: als geschälte Hanf-Samen im Dressing oder Goji-Beeren im Salat etwa.
Verständigungsprobleme sind - vorsichtig formuliert - bei diesen verschiedenen Weltanschauungen in Sachen Ernährung programmiert. Viele Grill-Gastgeber fragen schon bei der Einladung nach Tabu-Lebensmitteln. Zumal Veganer nicht mit Fleisch können, Paleo-Esser dagegen nicht mit Brot, dafür aber mit Fisch und beide nicht mit Käse. Von Lebensmittelallergien und -unveträglichkeiten ganz zu schweigen.
Zumindest Tim Schmelt gibt sich versöhnlich: Gern habe er die Nähe zum Fleisch zwar nicht, „aber solange meine Wurst nicht auf einem Steak liegt, ist das okay“, meint der Veganer. „Mit einem Krümel Brot auf meinem Essen habe ich kein Problem“, meint Paleo-Esser Richter. „Das löst bei mir keinen Brechreiz aus.“
Komplett raus beim Grillen sind die Rohköstler. Ihr „Raw“-Essen - das für sie die natürlichste Ernährung überhaupt ist - darf nicht über 42 Grad erhitzt werden. In Berlin öffnete mit dem „Rawtastic“ vor kurzem ein reines Roh-Veganes-Restaurant. Auf der Grillparty dagegen bleibt für die Rohköstler wohl nur die Salat-Beilage.