Brennnesseln statt Curry: Wildkräuter gefragt wie lange nicht
Dannenberg/Hasbergen (dpa) - Mehr Menschen wollen weg von der faden Supermarkt-Kost und entdecken Bärlauch, Löwenzahn und Co. für sich. In der Sterneküche sind heimische Pflanzen längst etabliert.
Wildkräuter-Lieferanten können die große Nachfrage kaum befriedigen.
Axel Kaiser nennt sich „Der Bärlauchbauer“, dabei baut er gar nichts an. „Ich ernte und pflege, was der schöne Teutoburger Wald seit über 300 Jahren bietet“, sagt der Unternehmer aus Hasbergen. Kaiser hat eine Sondergenehmigung vom Waldbesitzer und der Naturschutzbehörde, auf 21 Hektar das knoblauchähnliche Wildgemüse zu sammeln und zu vermarkten. Wo seine Flächen zwischen Osnabrück und Bielefeld liegen, ist streng geheim - schließlich will er sich in der Erntezeit von März bis Mai vor Plünderern hüten. Für ein Mittagessen darf nach dem Naturschutzgesetz jeder die Pflanze sammeln, größere Mengen sind verboten.
Kaiser verschickt seinen Bärlauch gefriergetrocknet - dazu hat er ein spezielles Verfahren entwickelt. Zu den Großabnehmern zählen Molkereien und Nudelfabriken, daneben bestellen viele Privatleute. „Die Lebensmittelskandale treiben uns die Kunden zu“, sagt der „Bärlauchbauer“. Fernsehköche hätten den Trend zu den heimischen Pflanzen gesetzt. „Sie machten den Leuten klar: Ihr braucht nicht Curry aus Indien kaufen, legt stattdessen ein Kräuterbeet an.“
Christina Schusters Wildkräuter-Garten im Wendland ist noch bis zum 20. Mai für alle Interessierten geöffnet. Bei der bis Pfingsten dauernden Kulturellen Landpartie darf jeder selbst ernten und ein Gericht zubereiten. Zu wählen ist zwischen Brennnessel, Giersch, Weißer Taubnessel und Herbstaster. Statt Porree gibt es etwa zu Spaghetti eine Handvoll Brennnesselblätter. Schuster will Hemmschwellen abbauen und Menschen mit eigenem Garten ermuntern, dort mehr Natur zuzulassen. „Wer Giersch einmal gegessen hat, wird ihn nicht mehr als Unkraut bekämpfen“, betont die 54-Jährige.
Bereits seit 15 Jahren verschickt die Expertin aus Dannenberg ihre Wildkräuter an Kunden, die Nachfrage steigt stetig. „Ich muss jede zweite Anfrage abbügeln“, berichtet sie. Hauptsächlich beliefert sie kranke Menschen, die etwa Krebs oder Multiple Sklerose haben, mit den vitamin- und mineralstoffreichen Kräutern.
Sternekoch Tommy R. Möbius zählt auch zu Schusters Kunden. „Als Gastronom muss man schauen, dass man neue Wege geht“, sagt der Küchenchef des Restaurants „Die Ente“ im Seehotel Ketsch bei Heidelberg. Der Berliner Spitzenkoch Michael Hoffmann bewirtschaftet sogar einen eigenen Garten mit uralten Kräuter- und Gemüsesorten, die teils nicht mehr im Handel erhältlich sind.
Auf manchen Speisekarten steht das Modewort Wildkräuter allerdings lediglich für ein wenig grüne Deko. Der Begriff sei sehr dehnbar, sagt Möbius: „Uns geht es nicht nur um die Optik, wir versuchen in die Tiefe zu gehen.“ Schmackhaft sei vieles, was hierzulande auf Wiesen und in den Wäldern wachse, schwärmt der Koch. „Es scheitert nur oft an der Zeit und am fehlenden botanischen Wissen.“
Um Wissenslücken zu schließen, bieten vielerorts Volkshochschulen, Naturschutzvereine und Bio-Höfe Kräuterführungen oder Kochseminare an. „Es geht um die Freude am besonderen Geschmack und den Bezug zur Region“, sagt Rupert Ebner, Vorstandsmitglied des Vereins Slow Food Deutschland, der sich weltweit als Gegenbewegung zum eintönigen Fast Food versteht. Ebner ist als Tierarzt für Rinder und Pferde in Oberbayern unterwegs. „Viele Bäuerinnen, die ich kenne, sind bei dem Thema inzwischen ganz qualifiziert“, sagt er. „Ein Essen mit Gänseblümchen ist hier schon fast normal.“