EHEC: Gefühlte Bedrohung größer als reales Risiko

Berlin (dpa) - Mehr als die Hälfte der Deutschen lässt laut einer Umfrage wegen der EHEC-Krise die Finger von Rohkost. Welche Folgen hat sie längerfristig auf die Verbraucher? Thomas Ellrott, Leiter des Instituts für Ernährungspsychologie in Göttingen, schätzt die Lage ein.

Drohen Verbraucher anhaltend verunsichert zu werden?

Ellrott: „Verbraucher waren schon vor dem EHEC-Ausbruch verunsichert. Die gesamte Kommunikation über Ernährungsfragen ist äußerst komplex und in der Summe hochgradig widersprüchlich. So fehlt es den Verbrauchern an widerspruchsfreien Empfehlungen - beispielsweise stehen sich seit Langem die Botschaften gegenüber, zum Abnehmen sei Low-Fat oder Low-Carb (fett- oder kohlenhydratreduziert) besser.“

Droht gesunder Ernährung ein Imageverlust, immerhin wird gerade vor dem Verzehr besonders gesunder Lebensmittel gewarnt?

Ellrott: „Das ist in der Tat nicht glücklich, da jetzt besonders Gemüse und Obst in Misskredit geraten. Eigentlich soll die Bevölkerung gerade mehr Obst und Gemüse essen, da das vielfältige gesundheitliche Vorteile hat. Es gibt unter dem Namen '5 am Tag' sogar eine eigene Kampagne der Krebsgesellschaft zur Förderung des Verzehrs dieser Lebensmittel. Ich halte es bei den aktuellen EHEC-Fällen für außerordentlich wichtig, dass zwischen Lebensmitteleigenschaft und der Verunreinigung des Lebensmittels durch Bakterien unterschieden wird. Gurken und Tomaten sind gesundheitlich günstige Lebensmittel. Allein die hygienische Verunreinigung ist das Problem. Hier müssen Quelle und Ausbreitungsweg rasch gefunden werden, damit in Zukunft noch besser Verunreinigungen mit EHEC vorgebeugt werden kann. Regelrecht tragisch ist, dass zwischenzeitlich aus Sicherheitsgründen tausende Tonnen einwandfreies Gemüse vernichtet werden müssen, da man den exakten Ausbreitungsweg noch nicht kennt und auch nicht jedes Produkt vor dem Verzehr untersuchen lassen kann.“

Was machen solche Krisen mit der Lust auf und einem authentischen Zugang zum Essen?

Ellrott: „Sie hinterlassen natürlich das ungute Gefühl, dass man sich niemals sicher sein kann. Hundertprozentige Sicherheit kann es auch nicht geben. Allerdings ist die gefühlte Bedrohung weitaus größer als das reale Risiko für jeden einzelnen. Die Verbraucher machen das Ausmaß der Bedrohung an der medialen Kommunikation zum Thema fest. Ist der Skandal später aus den Medien verschwunden, werden - zum Glück - auch wieder Gurken und anderes Gemüse gegessen. Stehen medial immer nur Skandale im Vordergrund, so gerät die relevanteste Information für die Verbraucher in den Hintergrund: Das größte Risiko beziehungsweise der größte Schutz für die Gesundheit ist das persönliche Ernährungsverhalten, also die durchschnittliche eigene Auswahl über längere Zeiträume. Diese beeinflusst das Risiko für Fettleibigkeit, Herz-Kreislaufkrankheiten, Krebs, Diabetes Typ 2 und andere Erkrankungen in größerem Ausmaß. Solche Erkrankungen treffen viele Millionen Menschen, nicht Hunderte oder Tausende.“