Einkaufen für die Tonne - Kampagnen gegen Lebensmittel im Müll
Berlin (dpa) - 100 000 Spezialitäten warten auf der Grünen Woche, wirbt die Messe. Ausgerechnet dort sollen Verbraucher lernen, umsichtiger mit Lebensmitteln umzugehen. Doch sie sind nicht allein verantwortlich.
Sie nahmen Mundschutz und Handschuhe und machten sich an die Arbeit: Berge von Abfall durchwühlen. Fünf Tonnen stinkenden Hausmüll ließen sich die Wissenschaftler und Studenten dafür kommen. Ziel der zehnwöchigen Spurensuche: alles, was essbar ist - oder mal essbar war. Ergebnis: 30 Prozent waren Lebensmittel. Und die Hälfte davon war wohl noch genießbar, als sie in die Tonne wanderten, berichten die Forscher von Fraunhofer-Gesellschaft und Uni Gießen zur Agrarmesse Grüne Woche. Noch immer landen in Deutschland zu viele Lebensmittel im Müll - allen Appellen zum Trotz.
Vom Schrumpel-Apfel bis zum Essensrest wirft jeder Deutsche im Jahr durchschnittlich 82 Kilogramm Lebensmittel in den Müll, ein Wert von 235 Euro - jedes achte gekaufte Produkt, wie das Bundesernährungsministerium ermitteln ließ. Fast die Hälfte ist Gemüse, oft falsch gelagert oder nicht rechtzeitig verbraucht, gefolgt von Brot und Brötchen.
Während viele Menschen hungerten, verschwendeten damit gerade die Industrieländer Nahrungsmittel, kritisieren die Fraunhofer-Forscher, die ihre Ergebnisse auf der Grünen Woche (17. bis 26. Januar) vorstellen wollen. „Wir wollen das ändern“, hat sich das Ministerium an seinem Stand auf die Fahnen geschrieben und propagiert Slogans wie: „Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein Wegwerfdatum.“
Es ist ein internationales Problem: Die Welternährungsorganisation schätzt, dass weltweit jährlich 1,3 Milliarden Tonnen Nahrung weggeworfen werden.
„Am Samstag wird der Kühlschrank vollgestopft, aber in den nächsten Tagen kommt man erst spät nach Hause oder entscheidet sich spontan, doch einmal essen zu gehen“, beschreibt der Geograf und Filmemacher Valentin Thurn, Regisseur des Films „Taste the Waste“, schon im Kritischen Agrarbericht 2012. Zum Wegwerfen führten auch das Überangebot im Supermarkt und die ständige Verfügbarkeit vieler Lebensmittel - seien es Erdbeeren im Dezember oder frisches Brot in der Nacht.
Gourmet-Koch Ronny Siewert zeigt eine Lösung: Er kocht den Rest des Sonntagsbratens am Montag mit Kartoffeln, Lauch und Karotte. „Der Eintopf bietet die Möglichkeit, die Reste vom Wochenende zu verarbeiten und den Kühlschrank ein wenig aufzuräumen.“ Apps und Rezepttipps im Internet sollen Verbrauchen wieder beibringen, wie sie Reste in die Pfanne werfen statt in die Tonne. Einkaufen nach Plan und umsichtigere Lagerung der Produkte sind weitere Empfehlungen.
Thurn sieht die Verantwortung aber nicht nur beim Verbraucher. „Die Verschwendung beginnt bereits früher in der Versorgungskette“. Im Handel, der den ganzen Salat in die Tonne werfe, sobald ein einzelnes Blatt angefault sei, und auf dem Acker, wo krumme Gurken aussortiert würden. Verbraucherschützer und Umweltbundesamt fordern auf der Grünen Woche, dass der Handel seine Vermarktungspraktiken ändere.
Eine Mitverantwortung für die Lebensmittelverschwendung hat die Branche bislang jedoch zurückgewiesen. „Ein Kaufmann vernichtet doch seine Ware nicht“, betont der Präsident des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels, Friedhelm Dornseifer. Die Händler gingen verantwortlich mit der Ware um, schon um Verluste zu begrenzen. Durchschnittlich betrage der unverkäufliche, weil beschädigte, verdorbene oder vom Verderben gefährdete Anteil der Ware 1,1 Prozent. Bei Obst und Gemüse sind es nach der Statistik aber immerhin gut 5,1 Prozent.