Experte: Diabetes ist für Kinder purer Stress
Stuttgart (dpa) - Wenn Mama kommt, dann tut es weh - das denken kleine Kinder, die Diabetes haben und etwa sechsmal täglich Insulin gespritzt bekommen müssen. Die psychischen Folgen können schwerwiegend sein.
Diabetes bedeutet für Kinder extremen Stress. Sie müssten nicht nur mit der lebenslangen Abhängigkeit von Insulin klarkommen, sondern würden von ihrer Umgebung auch ganz anders behandelt, sagt der Stuttgarter Kinderpsychologe Bela Bartus. Die Kinder könnten zu Außenseitern werden und ihre Probleme in sich hineinfressen. „Sie müssen ihre unheilbare Krankheit akzeptieren und darüber reden“, erläutert Bartus. Derzeit haben rund 25 000 Kinder und Jugendliche in Deutschland Diabetes des Typs I, eine schwere Form der Zuckerkrankheit. Jedes Jahr werden es etwa fünf Prozent mehr.
Die Jungen und Mädchen könnten nach der Diagnose oft nicht verstehen, warum ihre Eltern ihnen so oft mit einer Spritze wehtun. „Die Kleinen denken dann: Wenn Mama kommt, dann tut es weh.“ Manche gingen auf Abstand zu ihren Eltern, obwohl gerade in der Zeit kurz nach der Diagnose die Wärme und Geborgenheit der Eltern wichtig seien.
Bartus arbeitet am Stuttgarter Olgahospital, wo die deutschlandweit drittgrößte Diabetes-Ambulanz ist. Vor 20 Jahren hätten sie dort jährlich 150 Kinder und Jugendliche mit Diabetes betreut. Inzwischen seien es 420, sagt der Psychologe.
Typ-I-Diabetiker können selbst kein Insulin mehr produzieren. Der Grund für ihre Erkrankung ist unklar - im Gegensatz zu Diabetes Typ II, das meist durch Übergewicht verursacht wird. Die betroffenen Kinder und ihre Eltern müssten mit Diabetes offensiv umgehen und dürften es nicht verstecken, meint Bartus: „Wenn das Kind nicht zu einem Kindergeburtstag eingeladen wird, weil Diabetes fälschlicherweise als ansteckend gilt, dann sollte die Mutter dort anrufen und das Missverständnis aufklären.“ Junge Diabetiker sollten ihren Klassenkameraden von ihrer Krankheit erzählen. Durch das Gespräch werde die Situation entkrampft.
Der Umgang mit Diabetes sei aber eine Gratwanderung: Die Kinder sollten auch nicht zu viel über ihre Krankheit sprechen. Der ungezwungene Umgang mit Diabetes in Kindheit und Jugend sei auch für das spätere Leben extrem wichtig, um bleibende psychische Probleme zu vermeiden, erklärt Bartus. Denn im Erwachsenenalter neigten Diabetiker häufiger zu Depressionen als Menschen ohne die Zuckerkrankheit.