Familien ohne Esstisch - Kinderrestaurant pflegt Esskultur
Leipzig (dpa) - Eine Familie, drei Kinder, aber kein Esstisch. Das kann nicht gut gehen, meint die Gründerin des Leipziger Kinderrestaurants. Sie holt Kinder an die dampfenden Töpfe - und an den Abwasch.
Johanna steht mit ihren Freundinnen an einer langen Küchenplatte im Leipziger Kinderrestaurant. Sie feiert ihren zwölften Geburtstag hier - und da ist Arbeit angesagt. Die Mädchen mit den weißen Kochmützen kneten eifrig Nudelteig und rühren Soße. „Ich finde das toll“, sagt Johanna. „Das gemeinsame Kochen - und dass man hinterher selber abwaschen muss.“
So viel Begeisterung selbst für die lästigen Seiten der Küchenarbeit freut Karin Fahnert (52). Die Sozialpädagogin hat das Kinderrestaurant im vorigen Herbst ins Leben gerufen. Sie betrachtet das liebevoll eingerichtete Restaurant mit dem bunt bemalten Geschirr als erlebnispädagogische Einrichtung. Kinder und Familien sollen hier an Töpfe und Tische gebracht werden.
„Das Thema Ernährung ist aus meiner Sicht ein ganz wesentliches“, sagt Fahnert. Allerdings verliere das gemeinsame Essen in vielen Familien immer mehr an Bedeutung, sei es aus Zeitmangel, Desinteresse oder aufgrund schwieriger Verhältnisse. „Ich habe Familien kennengelernt mit drei Kindern, wo es keinen Esstisch gab“, erzählt Fahnert. „Da sage ich mir: Solche Familien können nicht funktionieren.“
Fahnert will mit dem Kinderrestaurant dagegenhalten - und möglichst viele Menschen erreichen: Schulklassen ebenso wie Kindergeburtstagsrunden oder Anwohner aus der Nachbarschaft, die zu thematischen Veranstaltungen rund ums Essen eingeladen werden. Fünf Euro Unkostenbeitrag soll jeder Gast leisten. Das decke nicht viel mehr als die Lebensmittelkosten, sagt Fahnert. Ohne ehrenamtliches Engagement wäre das von einem Verein getragene Kinderrestaurant unmöglich.
Dass in Familien immer weniger gekocht wird und Kinder sich häufig ungesund ernähren, prangern auch prominente Köche längst an. Fernsehköchin Sarah Wiener hat „Küchenkinder“ unter ihre Fittiche genommen, um ihnen das Kochen beizubringen. In Großbritannien trat Jamie Oliver eine „Food Revolution“ los, um das ungesunde und lieblose Essen in englischen Schulen besser zu machen.
So hoch hinaus will Fahnert mit dem Leipziger Kinderrestaurant nicht. Ihr ist es zunächst mal ein Anliegen, noch mehr Menschen aus der Nachbarschaft anzuziehen. Das Kinderrestaurant liegt im Leipziger Osten - einer sozial schwachen Gegend. „Wir haben im Fernsehen immer mehr Kochsendungen. Und die gucken sich die Eltern auch an. Aber selber kochen - das wird immer weniger“, sagt Fahnert.
Die Idee des Kinderrestaurants, wo die Gäste vom Pflücken der Kräuter im Garten über das Kochen bis zum Abwaschen alles selber machen müssen, scheint sich inzwischen herumgesprochen zu haben. Für Kindergeburtstage müsse man sich inzwischen schon lange im Voraus anmelden, und auch Schulen und Kitas aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen fragten inzwischen von selbst nach Terminen, sagt Fahnert.
Während das Geburtstagskind Johanna in der Küche den Löffel schwingt, sitzt seine Mutter im Gastraum und ist zufrieden. „Das ist auf jeden Fall eine tolle Idee, Kinder so an Essen heranzuführen“, sagt die 41-Jährige. „Wir ernähren uns zu Hause auch nicht von Tiefkühlkost, aber Nudeln aus Teig selber machen wir nun auch nicht.“