„Gras“ auf Rezept: Überfällige Reform oder riskanter Hype?
Frankfurt/Main (dpa) - Schwerkranke Patienten sollen ab nächstem Jahr Cannabis auf Rezept erhalten können, die Krankenkassen sollen die Kosten übernehmen. Das ist inzwischen Konsens in der Bundesregierung.
Bei Schmerzmedizinern sind diese Pläne umstritten: Viele begrüßen, dass es bald leichter wird, Hanf zur Schmerzlinderung zu verschreiben. Andere warnen, dass es für „Gras“ keine ausreichenden Studien gibt. Das Thema wird auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag (4. bis 7. März) in Frankfurt diskutiert.
Im Februar kündigte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) an, eine Neuregelung auszuarbeiten. Ein entsprechendes Gesetz könnte schon 2016 in Kraft treten. Derzeit können chronisch kranke Schmerzpatienten, die etwa in der eigenen Wohnung Hanfpflanzen anbauen, rasch ins Visier von Ermittlern geraten: Besitz, Anbau und Handel sind verboten. Gehen sie den legalen Weg, müssen sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Die haben derzeit nur rund 370 Patienten.
Zudem sind Cannabis-Präparate aus der Apotheke teuer, und die Kosten werden zurzeit in der Regel nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. 2014 erlaubte das Verwaltungsgericht Köln drei Patienten mit chronischen Schmerzen, als „Notlösung“ in ihren Wohnungen Hanf anzubauen.
Cannabis ist die meistkonsumierte illegale Droge in Deutschland - aber auch Basis für Medikamente. Den beiden Hauptwirkstoffen Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) wird eine krampflösende und schmerzlindernde Wirkung zugeschrieben.
„Es ist eine effektive, gut verträgliche Substanz und eine Bereicherung im Spektrum eines Schmerztherapeuten und Palliativmediziners“, sagt der Wiesbadener Schmerztherapeut Thomas Nolte. Vorteile seien die gute Verträglichkeit und die lange Wirksamkeit. „Wegen des speziellen Wirkmechanismus können wir damit Effekte erzielen, die wir mit anderen Pharmaka nicht erreichen können.“ Nolte sieht keinen Grund, warum Mediziner und Patienten darüber nicht ebenso verfügen dürfen wie über andere Schmerzmittel.
Die Internationale Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoidmedikamente nennt eine ganze Reihe möglicher Einsatzgebiete: Übelkeit und Erbrechen während der Chemotherapie, Appetitlosigkeit und Abmagerung bei Aids, Krämpfe bei multipler Sklerose, aber auch Epilepsie, Juckreiz oder Tourette-Syndrom. In Deutschland gibt es ein einziges Fertig-Arzneimittel aus Cannabis: Das Spray Sativex ist zugelassen für Multiple-Sklerose-Patienten.
„Wir brauchen einen unverkrampfteren Umgang mit Cannabinoiden“, findet auch Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin. Aber er warnt vor einem „Hype“, der dazu führt, Hanf als Allheilmittel zu sehen. Cannabis könne zum Beispiel Psychosen auslösen. „Wir fordern sonst für alle Medikamente strenge Studien und haben strengste Zulassungsregelungen - das alles gibt es für Medizinalhanf überhaupt nicht.“
Bisher sei der medizinische Einsatz auf wenige Indikationen beschränkt, in diesen begrenzten Einsatzgebieten sei die positive Wirkung von Cannabis unstrittig und belegt. „Aber für einen allgemeinen Einsatz fehlt uns einfach die Datengrundlage.“ Würde man an Hanf die gleichen Kriterien anlegen wie an Opiate, sagt Müller-Schwefe, würde es Jahre dauern, bis ausreichend Studien vorlägen. Das Problem: An Hanf verdient niemand, daher investiert auch niemand in die Forschung.
Mit Spannung erwarten die Fachleute, wie die Neuregelung im Detail aussehen wird. „Ich hoffe, dass es nicht in Richtung Selbstanbau geht“, sagt Kongress-Präsident Müller-Schwefe. „Das wäre unkontrollierbar.“ Zu diesem Aspekt passt auch ein weiteres Schwerpunktthema des diesjährigen Kongresses: Die Schmerzmediziner suchen den Dialog mit Suchtmedizinern. „Da gibt es nämlich viele gegenseitige Vorurteile und wenig Wissen.“