Keine Panik bei Bandscheibenvorfall
Hamburg (dpa/tmn) - Zu wenig Bewegung oder zu viel körperliche Belastung: Beides kann der Wirbelsäule zu schaffen machen. Manchmal ist ein Bandscheibenvorfall die Folge. Doch der ist kein Grund zu Panik.
Häufig lassen sich die Beschwerden mit einfachen Mitteln lindern.
„Entschuldigen Sie, ich habe Rücken“ - die Worte von Hape Kerkeling alias Horst Schlämmer haben eine ganze Nation zum Lachen gebracht. Ein Spaß mit ernstem Hintergrund: Rund 80 Prozent aller Bundesbürger haben laut Statistik einmal in ihrem Leben Rückenprobleme. Und nicht immer geht es so glimpflich aus wie bei Deutschlands skurrilem Comedy-Chefredakteur. Denn mitunter steckt hinter den Rückenbeschwerden ein ernster Bandscheibenvorfall.
Starke körperliche Belastung, stundenlange Schreibtischarbeit am PC, zu wenig Bewegung - das sind Risikofaktoren für die Wirbelsäule. 17 Prozent aller Rentenanträge werden inzwischen mit Rückenleiden begründet. Auch Jüngere haben immer öfter Beschwerden. „Doch nicht jeder Rückenschmerz bedeutet gleich einen Bandscheibenvorfall“, sagt Hans-Peter Köhler, Chefarzt der Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie am Asklepios Westklinikum Hamburg.
Für eine genaue Diagnose führt der Arzt zunächst ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten. „Wo sind die Schmerzen? Geht der Schmerz übers Knie hinaus bis zur Großzehe? Besteht im Fuß ein Taubheitsgefühl?“ - das sind nur einige Fragen des Arztes. „Aus der Schilderung lässt sich dann schon meist erkennen, wo das Problem ist“, sagt Köhler. Dem Gespräch schließt sich eine gezielte Untersuchung an. Verschiedene Gehversuche, die Haltung des Patienten und Lähmungserscheinungen geben dann weiteren Aufschluss, bevor eine weiterführende Diagnostik beginnt. Dazu gehöre zum Beispiel eine Kernspintomographie oder eine Computertomographie.
Die Behandlung beginnt in den meisten Fällen mit einer einfachen Schmerztherapie. „Es sei denn, es gibt gravierende neurologische Ausfälle“, betont Köhler. „Im Normalfall aber helfen Schmerztabletten, Wärmeanwendungen, eventuell auch Akupunktur.“ Nach etwa zwei bis drei Wochen - so die Erfahrung der Mediziner - bessern sich bei rund 80 Prozent der Betroffenen die Beschwerden, denn der menschliche Körper hat sehr starke Regenerationskräfte. Deswegen sollten laut Köhler alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten vor einer Operation ausgeschöpft werden. „Ein Bandscheibenvorfall ist also zunächst einmal kein Grund zur Panik“, beruhigt Köhler. Viele Menschen haben sogar ein solches Rückenproblem, ohne es zu wissen, weil sie keine Beschwerden dadurch haben.
Wenn jedoch alle konservativen Therapiemaßnahmen nicht weiterhelfen, kommt in den meisten Fällen eine mikrochirurgische Operation infrage. „Man macht einen ungefähr zwei Zentimeter langen Schnitt über der Wirbelsäule und geht dann - je nachdem, wo der Vorfall ist - am Nervenkanal vorbei in die Tiefe, erklärt Köhler. „Dabei wird ein Operations-Mikroskop eingesetzt, mit dessen Hilfe der Neurochirurg alles sehr genau sehen und millimetergenau arbeiten kann.“ Bei der Operation wird das herausgerutschte Bandscheibengewebe entfernt, um die Nerven vom Druck zu entlasten. Neben dieser offenen Methode kommt nach Köhlers Angaben erfahrungsgemäß bei 15 Prozent der Patienten auch eine endoskopische Operation in Betracht. Die Ergebnisse nach einer Bandscheibenoperation seien in mehr als 90 Prozent gut bis sehr gut.
„Nach wie vor wird viel operiert“, sagt der Orthopäde Martin Marianowicz, Vorsitzender der deutschen Sektion des World Institute of Pain in den USA. Er kritisiert das: „Mindestens 50 Prozent aller Operationen sind überflüssig.“ Dabei habe die Zahl der operativen Eingriffe in den vergangenen Jahren noch um 400 Prozent zugenommen. Grund sei offenbar, dass nur mit Operationen Geld zu verdienen sei, während die konservative und kostengünstigere Behandlung mitunter nicht einmal von den Krankenkassen bezahlt werde.
Auch gebe es ein Ausbildungsproblem bei den Ärzten. Denn in einer Disziplin, bei der es zu 80 Prozent konservativ behandelbare Patienten gebe, stehe die chirurgische Ausbildung noch immer im Vordergrund. Darüber hinaus führe die sonst segensreiche Möglichkeit der Kernspintomographie häufig zu vorschnellen Diagnosen und vorschneller Übertherapie.
Die beste Medizin jedoch, darin sind sich Experten einig, bleibt die Vorbeugung, auch wenn altersbedingte Abnutzungserscheinungen der Bandscheiben kaum zu verhindern sind. Die Aktion Gesunder Rücken (AGR) weist deshalb auf den Tag der Rückengesundheit am 15. März hin. Für die Rückengesundheit könne jeder Einzelne rund um die Uhr etwas tun, betont die Organisation. „Das umfasst zu Hause die Küche, den Fernsehsessel oder die Matratze und das Bett.“ Am Arbeitsplatz sollten Stühle, Tische, Tastatur und Zubehör ergonomische Vorgaben berücksichtigen. In der Freizeit spielen rückengerechte Schuhe oder Fahrräder eine Rolle. Und wer viel unterwegs ist, dem empfiehlt die AGR, sich beim Autohändler über die ergonomischen Qualitäten seines Autositzes zu informieren.