Kochen war gestern - Rohkost erobert die Küchen
Bremen (dpa) - Kalte Spaghetti und roher Käsekuchen. Klingt nicht lecker? Finden Rohköstler schon. Bei ihnen kommt nichts Warmes auf den Tisch - der Gesundheit zuliebe. Und ein bisschen hip ist es natürlich auch.
Wenn Silke Mai und ihre Zwillingsschwester Maike Kratschmer kochen, bleibt die Küche meist kalt. Statt Kochtopf und Pfanne brauchen sie nur einen Mixer. Streng genommen kann man bei ihnen gar nicht von Kochen sprechen. Die beiden Bremerinnen ernähren sich hautsächlich von Rohkost. Wer dabei an trockene Gemüseschnitze denkt, liegt falsch. Auch Karottensuppe, Pizza oder Käsekuchen stehen auf dem Speiseplan. Es kommt nur auf die richtige Zubereitung an.
Rohköstler verzehren Lebensmittel so naturbelassen wie möglich. Damit Vitamine, Mineralstoffe und Enzyme nicht verloren gehen, dürfen die Speisen nicht über 42 Grad erhitzt werden. Stattdessen werden diese gemahlen, geschrotet, im Mixer zerkleinert und in Spezialöfen getrocknet oder gedörrt. „Viele denken, man isst nur noch spartanisch und kennt keinen Genuss“, sagt Mai. „Es ist genau andersherum. Man schmeckt die einzelnen Lebensmittel viel intensiver.“
Spaghetti mit Tomatensoße? Kein Problem. Mai schneidet schnell einige Tomaten in große Stücke und gibt sie mit Basilikum, Knoblauch und Zwiebeln in einen Mixer. Ihre Schwester dreht währenddessen Zucchini durch ein Schneidegerät und vermengt die dünnen Gemüsestreifen mit Öl. Sie ersetzen die Nudeln. Das Ganze kommt kalt auf den Tisch. Als Dessert gibt es eine Schoko-Creme, die in kurzer Zeit aus Avocado, Banane, Mandelpüree, Kakaopulver und Datteln zusammengerührt ist.
Als Verzicht fühlt sich das für die beiden 43-Jährigen nicht an. Seit drei Jahren sind sie Rohköstlerinnen. Alle paar Wochen setzen sie sich mit Gleichgesinnten zusammen, um mitgebrachte Rohkost-Gerichte zu essen und Rezepte auszutauschen. „Potluck“ heißen diese Treffen, die es mittlerweile in ganz Deutschland gibt. Rübergeschwappt ist das Ganze - wie so viele Trends - aus den USA. Dort hat auch Boris Lauser vor vielen Jahren seine Leidenschaft für „Raw Food“ entdeckt und sich zum Rohkostchef ausbilden lassen.
„Vor fünf Jahren haben mich die Leute angeguckt, als käme ich vom Mond, wenn ich von Rohkost geredet habe“, erzählt der 38-Jährige. Heute richtet er private Dinner Partys in Berlin aus, gibt Kochkurse und berät Restaurants, die Rohkost-Gerichte in ihre Speisekarte aufnehmen wollen. „Es ist ein stark wachsender Trend“, sagt Lauser. Typische Zutaten für die rohe Küche wie Chia-Samen, Carobpulver oder Goji-Beeren muss er längst nicht mehr bei Spezialhändlern bestellen. Auch Bio-Supermarktketten wie Biocompany und Alnatura führen diese Produkte inzwischen im Sortiment.
Schon in den 1980er Jahren gab es eine Rohkost-Welle, bei der es jedoch viel asketischer zuging. Heute ist Rohkost Lifestyle, der an den Erfolg von vegetarischer oder veganer Ernährung anknüpft. „Das ist cool, mal was total anderes“, meint die Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dorothee Straka von der Hochschule Osnabrück. Dass Rohkost gesund ist, bestätigt auch sie. Die Expertin warnt aber davor, sich dauerhaft nur von Rohkost zu ernähren. Denn dann könnten Untergewicht und Mangelerscheinungen drohen.
Von morgens bis abends nur Rohkost - das hat Silke Mai vier Wochen durchgehalten. Als Experiment. „Das ist einfach zu viel Stress.“ Vor allem unterwegs. Denn in vielen Restaurants bleibt da nur Salat - ohne Brot, natürlich. „Für eine richtige Mahlzeit hat das zu wenig Substanz“, findet auch Maike Kratschmer. Denn von schnöden Salatblättern mit einem dünnen Dressing wird sie nicht satt. Erst mit reichlich Nüssen, Avocado oder eingeweichten Getreidekörnern wird für sie ein vollwertiges Gericht daraus.