Immunsystem aus dem Lot - Kopfweh und Sehprobleme alarmieren

Berlin (dpa/tmn) - Kopfschmerzen hat jeder mal. Wenn sie jedoch in einem höheren Alter zum ersten Mal vorkommen, ist das möglicherweise ein Alarmsignal. Dahinter kann eine Fehlreaktion des Immunsystems, eine Riesenzellarteriitis, stecken.

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Über Kopfschmerzen an den Schläfen oder über Sehstörungen klagt fast jeder mal. Treten diese Beschwerden jedoch erstmals im Alter jenseits der 50 Jahre auf, dann können sie Symptome einer Riesenzellarteriitis sein. Diese Erkrankung ist die häufigste den ganzen Körper betreffende Gefäßentzündung bei Menschen über 50. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Die Krankheit muss schnellstmöglich behandelt werden, ist aber schwer früh zu erkennen.

Eine Arteriitis ist eine Fehlreaktion des Immunsystems. „Es kann nicht mehr zwischen Selbst und Fremd unterscheiden und reagiert auf körpereigene Strukturen mit Entzündungen“, erklärt Prof. Wolfgang Schmidt von der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh). Betroffen sind die Wandschichten vieler Arterien im Oberkörper sowie winziger Gefäße, die den Sehnerv versorgen. „Es bilden sich größere Zellansammlungen, so dass die Adern dick und geschwollen werden, im Extremfall kann es zu Verschlüssen kommen.“

Diese Veränderungen in den Gefäßen sind auf unterschiedliche Weise zu spüren. „Bei 70 Prozent der Patienten ist das wichtigste und eindeutigste Symptom beidseitige, plötzliche, neu auftretende Kopfschmerzen, die durch Berührung schlimmer werden können“, sagt Schmidt. Hinzu kommen meist Schmerzen beim Kauen, schwere Grippeerscheinungen, Fieber, Nachtschweiß, leichter Gewichtsverlust und Beeinträchtigungen des Sehvermögens wie Flackersehen.

Diese recht unspezifischen Anzeichen werden oft fehlgedeutet. Das kann fatale Folgen haben: „Wenn akuter Sehverlust an einem Auge auftritt, ist es für dieses Auge zu spät“, sagt Thomas Neß von der Universitäts-Augenklinik in Freiburg. Wird der Patient jetzt nicht umgehend fachgerecht behandelt, dann besteht die Gefahr, dass sich die Entzündung weiter ausbreitet und im schlimmsten Fall innerhalb weniger Tage auch das zweite Auge erblindet.

Ärzte erstellen die Diagnose durch eine Kombination von verschiedenen Methoden. „Einen ersten Hinweis liefern sehr stark erhöhte Entzündungswerte im Blut“, sagt Klaus Amendt von der Deutschen Gesellschaft für Angiologie/Gesellschaft für Gefäßmedizin. Hinzu kommen Sicht- und Tastbefunde. „Die Schläfenarterie beispielsweise ist geschwollen, hart und sehr druckempfindlich.“ Dann folgt eine Untersuchung mit einem Bildgebungsverfahren. „Dabei werden in der Regel die Schlagader, die man im Verdacht hat, sowie die Aorta und die Schlüsselbeinarterien abgebildet“, erläutert Amendt.

Die Standardtherapie bei Riesenzellarteriitis ist eine Kortisonbehandlung. „Es gibt kein Medikament, das so schnell wirkt wie Kortison“, sagt Neß. „Außerdem ist das ein Medikament, das extrem lange in Gebrauch ist, bei dem man mögliche Nebenwirkungen kennt und weiß, was man gegen diese tun kann.“ Die Dosis kann im Verlauf der Behandlung kontinuierlich reduziert werden. „Wie schnell diese Reduzierung erfolgen kann, dazu gibt es wenige Studien, so dass dies im Ermessen des behandelnden Arztes liegt“, sagt Schmidt. Eineinhalb bis drei Jahre sind meist nötig.

Während der gesamten Therapie müssen die Laborwerte und Symptome des Patienten kontinuierlich vom Arzt kontrolliert werden. Dabei geht es nicht nur darum, die Dosierung individuell anzupassen. In mehr als der Hälfte der Fälle tritt Riesenzellarteriitis anfangs zusammen mit einer Polymyalgie, also mit Muskelschmerzen beispielsweise in Oberarmen, Oberschenkeln oder Gesäß, auf. Diese verschwinden üblicherweise direkt mit der Kortisonbehandlung.