Krankheit: Fibromyalgie ist schwer zu erkennen
München (dpa/tmn) — Die Schmerzen sind immer da. Sie gehören für Claudia Dexl zum Alltag — und das seit ihrer Jugend. „Damals hatte ich Rückenprobleme“, erinnert sich die heute 58-Jährige. Sie begab sich in Therapie und schaffte es, mit den Beschwerden umzugehen.
Ab ihrem 33. Lebensjahr wurde aber alles schlimmer. Die Schmerzen wurden stärker, dann chronisch und breiteten sich auf den gesamten Körper aus. „Manchmal war es einfach unerträglich“, sagt Dexl. Heute weiß sie, dass sie unter dem Fibromyalgie-Syndrom (FMS) leidet. Doch bis zu dieser Diagnose war es ein langer Weg.
Die Münchnerin unterzog sich zahllosen medizinischen Untersuchungen, wurde von einem Facharzt zum nächsten überwiesen. Aber niemand konnte eine Krankheit feststellen. „Ich war an manchen Tagen schier verzweifelt“, sagt Dexl. „Verletzend war auch, von anderen gefragt zu werden, ob ich mir vielleicht alles nur einbilde.“ Dexl war 40, als ein Arzt erkannte, was Sache war und das Wort Fibromyalgie aussprach.
Es bedeutet Faser-Muskel-Schmerz. Betroffen sind die Sehnenansätze der Muskeln. Die Erkrankung ist chronisch. Bundesweit sind nach Angaben von Prof. Erika Gromnica-Ihle, Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga mit Sitz in Bonn, fast drei Millionen Menschen betroffen.
Die Krankheit bleibt deshalb so lange unerkannt, weil die Symptome so unterschiedlich sind, wie Gromnica-Ihle sagt. Das können etwa Muskelschmerzen und Erschöpfung, aber auch Darmprobleme sein — und das alles ohne auffällige klinische Befunde. Viele Betroffene müssen mit den Beschwerden leben ohne die Diagnose zu kennen, sagt Bärbel Wolf. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Fibromyalgie Vereinigung. Das Risiko, an FMS zu erkranken, steigt mit dem Alter an. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
Was genau die Erkrankung verursacht, ist bislang unklar. „Fest steht, dass bei Betroffenen die Schmerzverarbeitung anders als bei Gesunden ist“, erklärt Prof. Christoph Baerwald. Er ist Leiter der Sektion Rheumatologie/Geriatrie am Universitätsklinikum Leipzig. Im Körper von Betroffenen sind die Muskeln, Bänder und Gelenke zwar gesund. Allerdings funktioniert das Miteinander von allen Körperstrukturen nicht reibungslos, weil bestimmte Nervenfasern gestört sind. Geschwollene und gerade am Morgen steife Gelenke schränken die Beweglichkeit ein. Allerdings sind Entzündungsprozesse, wie sie bei rheumatischen Erkrankungen auftreten, nicht nachweisbar.
Stress und Schlafmangel können die Entstehung eines FMS-Syndroms begünstigen. Weitere Risikofaktoren sind orthopädische Erkrankungen der Muskeln und Gelenke sowie erblich bedingte Bänder- oder Gelenkschwäche. Betroffene haben keine kürzere Lebenserwartung. Sie müssen selbst bei einer seit Jahrzehnten währenden Erkrankung nicht damit rechnen, eines Tages im Rollstuhl zu sitzen.
Oft wird Patienten eine sogenannte multimodale Therapie verordnet. „Das kann beispielsweise die Einnahme von Medikamenten wie Schmerzmittel und/oder Antidepressiva, kombiniert mit speziellen Entspannungsübungen und einer Verhaltenstherapie sein“, erläutert Baerwald. „Ziel ist, die Symptome zu lindern, Aussicht auf Heilung besteht derzeit nicht“, betont Baerwald. Nicht zu empfehlen seien etwa operative Verfahren oder elektrische Nervenstimulationen.
Claudia Dexl, die wegen ihres FMS-Syndroms in Frührente gehen musste, schwört auf physikalische Therapie und auf den Austausch in Selbsthilfegruppen. Dennoch: Weg sind die Qualen nie. Wenn es unerträglich wird, legt sie sich ins Bett und liest ein gutes Buch. „So treten die Schmerzen zumindest kurzzeitig in den Hintergrund.“