Lebensmittelallergiker sind Detektive in eigener Sache
Mönchengladbach (dpa) - Plötzlich juckt die Haut oder ist gerötet: Dahinter kann eine Lebensmittelallergie stecken. Die Suche nach dem Auslöser ist nicht einfach. Das zeigen Betroffene anlässlich des Lebensmittelallergietages am 21. Juni.
Es war zum Verzweifeln: Nur wenn die Frau im Restaurant essen ging, bekam sie dicke, juckende Stellen am ganzen Körper. Allergietests brachten nichts. „Und dann ging es irgendwann auch zu Hause los, dass sie gequaddelt hat“, erzählt Sonja Lämmel vom Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB) in Mönchengladbach. „Da war Detektivarbeit angesagt.“
Mit viel Nachforschen fand die Ernährungsfachkraft des Rätsels Lösung: Die Frau pflegte ihre Schwiegermutter und hatte deshalb weniger Zeit. Es kamen viele Fertigprodukte und Tütensuppen auf den Tisch. Eine gezielte Provokation in einer Fachklinik brachte den Beweis: pseudoallergische Reaktion auf Zusatzstoffe, Konservierungsmittel und Geschmacksverstärker. Und so erklärten sich auch die rätselhaften, juckenden Nesselausschläge nach dem Essen in Gaststätten. Solche Leidensgeschichten kommen oft vor, sagt Lämmel.
Allergien nehmen seit vielen Jahren zu. Nach Schätzung von Ärzten und DAAB haben etwa sechs Prozent aller Kinder und drei Prozent der Erwachsenen eine Nahrungsmittelallergie. Einen einzigen Grund für die Zunahme gebe es nicht, sagt Stephan Meller, Allergologe und Oberarzt in der Düsseldorfer Universitätsklinik. Faktoren seien unsere Umwelt, Ernährungs- und auch Vermeidungsgewohnheiten.
Seit 2008 erinnert der DAAB mit dem Lebensmittelallergietag am 21. Juni an diese Krankheit, an der Hunderttausende leiden und für die es kein Heilmittel gibt. „Das einzig Wirksame ist, dass der Patient weiß, wogegen er allergisch reagiert und dieses Lebensmittel konsequent meidet“, sagt Sonja Lämmel. Allerdings: Dafür muss der allergieauslösende Stoff auf den Verpackungen der Lebensmittel und bei loser Ware im Restaurant oder in der Bäckerei klar erkennbar sein. Und das ist nicht immer der Fall.
Seit Mitte Dezember 2014 ist die Deklaration klarer geregelt: Seitdem stehen auf dem Etikett von Lebensmitteln die Hauptauslöser für Allergien und Unverträglichkeiten fett oder unterstrichen, wenn sie enthalten sind. Dazu gehören glutenhaltige Getreide, Milch, Eier, Fische, Nüsse, Soja, Sellerie oder Sulfite. Aber bei der losen Ware hakt es noch etwas: Die Wurst vom Metzger, die Körner-Brötchen vom Bäcker müssen zwar auch seit Ende 2014 gekennzeichnet werden, aber nicht jeder Betrieb setzt diese neue Regelung schon um. Die Kunden müssen häufig extra danach fragen. „Das ist eine Katastrophe für Allergiker“, sagt Andrea Wallrafen, die Geschäftsführerin des DAAB.
Allergische Reaktionen auf Nahrungsmittel können verwirrend verschieden sein. Sie reichen von Jucken, Rötung und Quaddeln auf der Haut, über Niesattacken und Schnupfen, Husten und Atemnot bis hin zu Durchfällen, Erbrechen oder Übelkeit. Die schwerste allergische Reaktion ist der anaphylaktische Schock in Form eines lebensbedrohlichen Kreislaufzusammenbruchs.
Je nach Lebensalter neigen Menschen zu anderen Lebensmittelallergien: Hauptauslöser bei Säuglingen sind Kuhmilch und Hühnerei. Bei Kindern kommen Nüsse, Fisch und Weizen hinzu. Jugendliche und Erwachsene reagieren häufiger auf rohe Gemüse- und Obstsorten, Gewürze und Nüsse. Diese Kreuzreaktionen treten in etwa 60 Prozent der Fälle mit einer gleichzeitig vorliegenden Pollenallergie auf.
Besonders mysteriös ist eine neue Form einer Weizen-Allergie, die vor allem in Kombination mit Anstrengung auftritt. Vor etwa drei Jahren sei das aufgekommen und dann häufiger geworden, berichtet Sonja Lämmel vom Deutschen Allergie- und Asthmabund. Dabei können Anstrengung, Alkohol oder bestimmte Arzneimittel als Trigger wirken. Betroffen seien vor allem junge Leute, hat Lämmel beobachtet.
Stephan Meller, der Allergologe am Düsseldorfer Universitätsklinikum, begegnet solchen Fällen etwa einmal im Monat. „Jemand isst ein Brötchen und treibt dann Sport, das kann dann eine extreme Reaktion zur Folge haben.“ Das Phänomen wird „WDEIA“ (Wheat Dependent Exercise Induced Anaphylaxis) genannt: ein ernährungsabhängiger, durch Anstrengung herbeigeführter, allergischer Schock.
In solchen Fällen muss der Arzt seine Patienten oft erst von der ungewöhnlichen Allergie gegen Weizen überzeugen. „Nee, den hab ich ja gestern noch vertragen“, hört Meller dann. „Es ist ein Puzzlespiel.“ Und gar nicht so selten.