Psychisch auffällige Kindern bleiben oft unbehandelt
Berlin (dpa) - Sie sitzen allein vor der Mattscheibe und sind in ihren Familien oft unzureichend gefördert: Psychisch auffällige Kinder werden in Deutschland nach Einschätzung von Kinderärzten nur mangelhaft betreut.
Dabei zeige etwa jedes fünfte Kind in Arztpraxen psychische Auffälligkeiten, sagt der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands (BVKJ), Wolfram Hartmann. „Ein Großteil derjenigen, die im Kindesalter auffällig sind, haben ab dem Jugendalter oder als Erwachsene behandlungsbedürftige Symptome.“
Mit „auffällig“ sind zum Beispiel Aggressionen gemeint. Psychisch krank sind die Kinder deshalb nicht unbedingt. Doch bereits bevor sie in die Schule kommen, zeigen Mädchen und Jungen den Kinderärzten zufolge auch immer öfter Anzeichen von Depression. Betroffene zögen sich zurück, scheuten Kontakte und machten einen traurigen Eindruck, sagte Hartmann. Die Ursachen sind kaum erforscht: Vernachlässigung könne ebenso wie Überforderung eine Ursache sein, vermuten Experten.
Einer Untersuchung des Robert Koch-Instituts zufolge berichteten gerade Jugendliche mit Migrationshintergrund häufiger von psychischen Problemen als Jugendliche ohne. In Zukunft könnte sich das verschlimmern: Die steigende Zahl von Flüchtlingskindern mit schweren traumatischen Erlebnissen mache sich schon heute in den Praxen bemerkbar, sagte Hartmann: „Wir haben erhebliche Sprachbarrieren und keine Strukturen, um Hilfestellungen zu geben.“
Die meisten Kinder bleiben unbehandelt - Medikamente gegen psychische Auffälligkeiten seien mit Ausnahme der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS beim Kinderarzt kein Thema. Doch zumindest die Vorbeugung, gerade bei Vorschulkindern, müsse sich verbessern, findet Hartmann: Beratungsangebote, bei denen pädagogische Fachkräfte Familien engmaschig betreuen, seien flächendeckend nötig.
Denn der Druck sei groß, den Erzieher und Lehrer auf die Kinder- und Jugendärzte ausübten: Etwa Ergotherapie und Logopädie sollen verordnet und die Kinder mit einer Diagnose versehen werden, die eigentlich nicht auf sie zutrifft, so Hartmann. Seine größte Sorge: Im geplanten Präventionsgesetz der Bundesregierung spiele das Thema bisher keine Rolle.